Nach eineinhalb Monaten ist in Frankreich alles vorbei und der Elysée-Palast neu besetzt. In den USA hört der Wahlkampf nie wirklich auf. Ein Wunder, dass überhaupt noch jemand wählt.
Glückliche Franzosen: Sie haben es hinter sich. Ihr Präsidentschaftswahlkampf war hart und aggressiv. Und er hat die hässliche Wahrheit zutage gebracht, dass fast jeder fünfte bei ihnen rechtsextrem wählt.
Aber es gab – zumindest im ersten Durchgang – jede Menge politische und ideologische Alternativen. Es gab quer durch das Land hitzige Debatten. Und jetzt ist alles vorbei: Nicolas Sarkozy muss den Elysée-Palast verlassen. Und falls nichts ganz und gar Aussergewöhnliches passiert, kann sich François Hollande in den nächsten fünf Jahren auf das Präsidieren konzentrieren.
Ganz anders auf dieser Seite des Atlantik: Als im März in Frankreich die Präsidentschaftskampagne begann, lief hier der Vorwahlkampf bereits seit mehr als zwei Monaten auf Hochtouren. Damals fetzten sich Republikaner untereinander. Sie sammelten und verpulverten Millionen Dollars und belegten die besten TV-Sendezeiten. Der einzige echte Unterschied bei ihren thematisch fast identischen Debatten von einem Bundesstaat zum nächsten war, dass immer weniger KandidatInnen daran teilnahmen.
Inzwischen ist das republikanische Feld auf zwei Männer geschrumpft, die sich weitgehend ignorieren: Mitt Romney und Ron Paul. Aber der Wahlkampf geht weiter. Denn jetzt ist auch Barack Obama eingestiegen. An diesem Wochenende hat er sein Motto „Forward“ vorgestellt. Und ist bei zwei großen Meetings in den „Swingstates“ Ohio und Virginia aufgetreten.
Statt Republikaner untereinander, fetzen sich fortan ein Demokrat und ein Republikaner. In täglich neuen, aggressiven und sehr professionell gemachten, Videos führen sie den «Beweis», dass der andere lügt, falsch zitiert oder schlicht unfähig ist. Im Augenblick führen Obamas Unterstützer gerade vor, dass von Romney wegen seines Bank-Kontos in der Schweiz nichts Positives zu erwarten ist. Und Romneys Freunde beschreiben die Wirtschaftspolitik in Obamas erster Amtszeit mit einer einfachen sprachlichen Retourkutsche auf dessen Slogan: backward.
Das alles könnte aufschlussreich sein und möglicherweise sogar amüsant – wenn es nur irgendwann wieder aufhören würde. Doch ein Ende des Wahlkampfes ist in den USA nie in Sicht. Im Augenblick stehen uns noch geschlagene sechs Monate bevor. Und wenn der nächste Präsident im nächsten Januar sein Amt antritt, hat er im günstigsten Fall zweieinhalb Jahre Zeit, bevor schon wieder ein Präsidentschaftswahlkampf beginnt. Die «Halbzeitwahlen» zu Repräsentantenhaus und Senat noch gar nicht mit gerechnet.
Das Regime von permanentem Wahlkampf mag auf den ersten Blick ganz besonders demokratisch erscheinen. Doch in der Realität ist es vor allem eines: zermürbend.
Im Gegensatz zu Frankreich, wo der kurze und heftige Wahlkampf viele interessiert. Wo leidenschaftlich über Politik diskutiert wird. Und wo immerhin 80 Prozent gewählt haben, ist es in den USA schwer, ausserhalb der Kreise von Parteimitgliedern, überhaupt Leute zu finden, die sich für Politik und Wahlkampf interessieren.
Früher habe ich darüber gerätselt, dass bei Präsidentschaftswahlen in den USA eine Beteiligung von 57 % Prozent (im Jahr 2008, als Obama gewählt wurde) der absolute Rekord der letzten vier Jahrzehnte war. Doch seit ich in den USA lebe, wundere ich mich vor allem darüber, dass überhaupt noch jemand wählen geht.