Petkovic über Vertrauen, Support und den nächsten Captain

Zwölf Tage vor der Fortsetzung der bisher perfekten WM-Kampagne unterhält sich Vladimir Petkovic in Lausanne mit der Nachrichtenagentur sda über die nahe Zukunft des Schweizer Nationalteams.

Zwölf Tage vor der Fortsetzung der bisher perfekten WM-Kampagne unterhält sich Vladimir Petkovic in Lausanne mit der Nachrichtenagentur sda über die nahe Zukunft des Schweizer Nationalteams.

Im Vorfeld des Heimspiels gegen Lettland lässt sich Nationalcoach Vladimir Petkovic von der teilweise ungenügenden Klubsituation einiger Nationalspieler nicht irritieren. Vieles sei erklärbar, so der SFV-Selektionär, er wolle nichts dramatisieren. Gefallen fand er daran, wie souverän sein Captain Stephan Lichtsteiner auf seine vorübergehende Degradierung bei Juventus Turin reagiert hat: «Er hat seinen Hunger auch mit 33 Jahren nicht verloren.»

Zur persönlichen Planung will er öffentlich nicht allzu viel preisgeben, lässt aber durchschimmern, dass für ihn eine weitere Vertragsverlängerung durchaus ein Thema ist. Als Trainer der SFV-Auswahl starte man im Sommer 2018 «nicht bei null, sondern bei plus eins».

Welche Beobachtungen haben Sie in den letzten vier Monaten gemacht? Gibt es Spieler, die Sie überrascht haben, die Ihnen positiv aufgefallen sind?

«Yann Sommer und Granit Xhaka sind für mich gute Beispiele. Ihnen ist es gelungen, unter Druck einen Ausweg zu finden, sich zu steigern und die Kritiker zu widerlegen. Ihre Lage war teilweise ungünstig. Beide gehören zum Stamm und sind Leaderfiguren. Oder denken wir an Behrami, der in Watford auch in ungemütlichen Stunden immer präsent war; er spielt Woche für Woche. Bei Remo Freuler beeindruckte mich, wie entschlossen er seine Chance in Bergamo gepackt hat.»

Kommen Ihnen weitere Schweizer mit Erfolgserlebnissen in den Sinn?

«Roman Bürki überzeugte in Dortmund mehrfach, Blerim Dzemaili hat seinen Spielstil in Bologna gefunden. Vergessen wir Stephan Lichtsteiner nicht – er ist in Turin zurück.»

Ihr robuster Captain demonstrierte bei Juventus Turin einmal mehr Charakterstärke.

«Er hat seinen Hunger auch mit 33 Jahren nicht verloren. Andere in seinem Alter würden vielleicht den schönen Lohn kassieren und sich zurücklehnen, Stephan hingegen kämpfte bis zur Schmerzgrenze um seine Position. Mit seinem Ehrgeiz ist er Vorbild für alle. Er verdient sich seinen Stellenwert jeden Tag aufs Neue.»

Granit Xhaka bewegt sich in einer ähnlichen Klubdimension wie Lichtsteiner. Wie beurteilen Sie die aktuelle Phase des Antreibers der jüngeren SFV-Generation?

«Er befindet sich mitten im Prozess, sich in London zu bestätigen. Granit besitzt die Qualität, ein Leader von Arsenal zu werden. Aber wie schnell sich eine Situation zuspitzen kann, bekam er nach seinen Platzverweisen zu spüren. Es rumorte um ihn herum, und plötzlich machte sich Xhaka zu viele Gedanken, überlegte sich, wann er zum Tackling ansetzen soll. Die heftigen Reaktionen der englischen Kommentatoren haben selbst ihn erschüttert, eine gewisse Unsicherheit belastete sein Spiel.»

Bezahlte er auf ganz hohem Level Lehrgeld?

«Gut möglich, ja. Der Sprung von der Bundesliga in die Premier League ist nicht zu unterschätzen. Der Wind in England ist schärfer, jeder Fehler wird mit der Lupe analysiert. Die Rückschläge lösten ein paar Zweifel aus, aber ich bin sicher, dass er den Ansprüchen und der internen Konkurrenz standhalten wird.»

Xhaka ist ein Spieler mit Rückgrat und besitzt innerhalb der Schweizer Auswahl viel Kreditwürdigkeit. Kommt er für Sie mittelfristig infrage, von Lichtsteiner das Captain-Amt zu übernehmen?

«Ja, sicher, die Perspektive ist da, über das nötige Naturell verfügt er. Er hat alle Eigenschaften, um irgendwann Captain der Schweiz zu werden. Aber er ist auch ohne Etikette um den Arm enorm wichtig für meine Auswahl – das gilt übrigens auch für eine Persönlichkeit wie Sommer.»

Rechnen Sie generell zeitnah mit einem Umbruch?

«Ich habe vom ersten Tag an neue und junge Spieler integriert. Unvorbereitet bin ich auf allfällige Veränderungen nicht. Mein Vertrag endet zwar auch Ende des Jahres, weshalb ich manchmal kurzfristig planen muss, aber irgendwie geht es immer um das grosse Bild, um die Zukunft, die ja nicht an der WM 2018 enden soll.»

Zum grossen Bild gehört die persönliche Planung des Nationaltrainers. Oder anders gesagt: Ihr Commitment zum nächsten Zyklus. Ihr Rückhalt ist intern und extern gross – Sie könnten ja frühzeitig klare Verhältnisse schaffen?

«Ich habe mich bisher eigentlich vor allem damit beschäftigt, welche Spieler künftig noch an Bord sein werden. Mit meiner eigenen Zukunft habe ich mich noch nicht auseinandergesetzt. Es ist womöglich etwas früh, um dieses Thema aufzugreifen, das Ergebnis unserer Kampagne steht noch nicht fest.»

Es spricht derzeit nichts gegen eine weitere Fortsetzung Ihrer Ära.

«Die Richtung stimmt, und auch wenn es im Team zu personellen Veränderungen kommen sollte, startet man als Trainer nicht bei null, sondern bei plus eins. Ein gewisser Risikofaktor bleibt immer, beide Parteien müssen diesen Punkt für sich selber abwägen – ich und der Verband.»

Zurück zum erfolgreichen Start zur WM-Ausscheidung. Wo stufen Sie das 2:0 gegen Portugal ein? Wie sehr vereinfachte der Coup gegen den Europameister den letztjährigen Herbst?

«Es waren ein Signal und Nachweis zugleich, inzwischen auch gegen einen Grossen des Weltfussballs bestehen zu können. Wir konservierten unser Niveau und hatten nicht wie andere EM-Teilnehmer mit mentalen Schwankungen zu kämpfen. Der positive Trend hält an.»

Rechnen Sie angesichts der bisherigen Eindrücke in der Gruppe B mit einer Finalissima in Lissabon?

«Ich hoffe ehrlich gesagt, dass wir schon Anfang Oktober gegen Ungarn alles klarmachen können. Punktverluste können wir uns eigentlich keine erlauben, wenn wir bis zum Schluss alles selber in der Hand haben wollen.»

Themawechsel: Die komfortable Konstellation in der WM-Kampagne kontrastiert zum Kluballtag. Über die Hälfte ihrer Stammbesetzung sitzt im Verein auf der Ersatzbank. Wie erklären Sie sich diese unvorteilhafte Momentaufnahme?

«Dramatisieren muss man die Situation nicht. Einige sind verletzt, Ausfälle kommen immer wieder vor. Bei anderen plant der Klub womöglich anders, die Verträge laufen aus.»

Xherdan Shaqiri zum Beispiel ist auffällig oft angeschlagen. Beunruhigt Sie die Verfassung Ihres verletzten Topskorers?

«Bei ihm ist es in der Tat etwas komplizierter. Zuerst war von zehn Tagen Pause die Rede, jetzt fehlt er schon wochenlang. Er muss die Rehabilitation sorgfältiger planen, Tag für Tag, um das Risiko weiterer Rückfälle zu minimieren.»

Eine andere Problemzone bahnt sich womöglich im Zentrum der Abwehr an. Das an der EM gesetzte Duo Johan Djourou/Fabian Schär ist in Hamburg und Hoffenheim seit dem Jahreswechsel mehrheitlich überzählig. Wie gross ist Ihr Unbehagen?

«Eines vorweg: Ich lasse meine Spieler generell nicht gleich bei ersten Anzeichen von Schwierigkeiten im Stich. Es wäre meinerseits ein schlechtes Zeichen, mich auch noch von ihnen abzuwenden. Es geht darum, den Betroffenen wieder Selbstvertrauen zufliessen zu lassen, ihnen Support anzubieten. Auf dem Platz werden sich die beiden für den gerechtfertigten Vertrauensbeweis mit sehr guten Leistungen bedanken.»

Sie haben im Winter insbesondere Schär einen Transfer nahegelegt.

«Ich habe sein Bemühen, einen Transfer zu machen, schon registriert. Er wollte etwas verändern, durfte den Klub allerdings nicht verlassen. In der Nationalmannschaft kann er wieder Tritt fassen. Das wäre für alle hilfreich, von der Defensive hängt viel ab.»

Nächster Artikel