Nach dem vierfachen Mord bei Annecy gehen die Ermittler ersten konkreten Spuren nach. Im Zentrum stehen die Vergangenheit des getöteten Familienvaters und ein Streit um eine Erbschaft. Eine Spur führe zum Bruder des Getöteten, sagte der Staatsanwalt von Annecy.
„Die einzige Sache, die sicher erscheint, ist ein grosser Streit zwischen den beiden Brüdern um Geld“, erklärte Staatsanwalt Eric Maillaud am Freitag. Der Bruder müsse nun „sehr lange“ befragt werden.
Am Donnerstagabend hatte ein Nachbar der Opferfamilie in einem Vorort von London erklärt, der getötete Familienvater Saad al-Hilli, habe ihm von einem Streit um ein Erbe mit seinem Bruder erzählt.
Laut britischen Medien geht es um eine Erbschaft von mehr als einer Million Euro. Der Bruder meldete sich sofort bei der britischen Polizei. Er beteuerte seine Unschuld.
Wille, „alle zu töten“
Der Staatsanwalt mahnte ebenfalls zur Vorsicht: Vom Streit ums Geld zu einem vierfachen Mord sei es ein grosser Schritt. Es werde daher jede Spur „akribisch“ verfolgt.
Maillaud hob hervor, dass es den Willen gab, „alle lebenden Personen zu töten“. Deshalb leitete die Staatsanwaltschaft am Freitag zwei Ermittlungsverfahren wegen „Mordes“ an vier Erwachsenen und „versuchten Mordes“ an zwei Mädchen ein.
Bei der brutalen Tat waren am Mittwochnachmittag auf einem Waldparkplatz bei Annecy, nahe der Schweizer Grenze, der aus dem Irak stammende Al-Hilli, seine Frau, die Mutter der Frau und ein französischer Fahrradfahrer, der vermutlich zufällig am Tatort vorbeikam, erschossen worden. Alle wurden durch Kopfschüsse getötet.
Vierjährige erneut befragt
Nur die beiden kleinen Töchter der britischen Familie überlebten das Blutbad: Die vierjährige Zeinab blieb unverletzt, weil sie sich im Auto unter den beiden getöteten Frauen versteckte.
Ihre siebenjährige Schwester Zehab erlitt Schädelfrakturen und eine Schusswunde. Sie musste am Donnerstag nochmals operiert werden. Es gehe ihr gut, sie sei ausser Lebensgefahr, sagte Maillaud am Freitag.
Die Vierjährige wurde am Donnerstagabend erneut befragt. Sie konnte aber „nicht viel mehr Details“ liefern, sagte Maillaud. Wie schon, als sie nach acht Stunden versteckt hinter ihrer toten Mutter gefunden worden war, habe sie wieder von Schreien erzählt, „dieser Angst und dem Willen sich zu verstecken“.
Spekulationen
In der britischen Presse kursierten am Freitag Spekulationen über „Auftragsmorde“, möglicherweise aus familiären Gründen. Nach Informationen des Senders Sky News hatte die Tat Züge einer Kommandoaktion.
Jedes der drei Opfer aus der britischen Familie sei durch zwei gezielte Schüsse in die Stirn gestorben, berichtete der Sender Sky am Freitag unter Berufung auf britische Polizeiquellen. Der französische Radfahrer, dessen Leiche ausserhalb des Fahrzeuges gefunden wurde, hatte fünf Schusswunden.
Zudem berichtete die britische Zeitung „Daily Mail“, dass der britische Geheimdienst den getöteten Familienvater zeitweise überwacht habe. Der erschossene Brite irakischer Herkunft sei 2003 während der von den USA und Grossbritannien angeführten Intervention im Irak überwacht worden.
Al-Hilli war Ingenieur. Zuletzt hatte er als Berater für SSTL gearbeitet, eine zum Rüstungs- und Luftfahrtkonzern EADS gehörende Firma im Bereich des Satellitenbaus. Gefährliche Geheimnisse habe al-Hilli aber wohl nicht gekannt, sagte sein Buchhalter. „Er hatte nichts mit irgendwelchen Rüstungsprojekten zu tun.“