Der Kölner Polizeipräsident Wolfgang Albers gerät nach den Übergriffen in der Silvesternacht unter Druck. Nach Angaben eines leitenden Beamten war die Polizei bereits frühzeitig über Ausmass und Dramatik der Übergriffe informiert.
Auf die Beamten seiner Hundertschaft seien bereits bei der Ankunft am Hauptbahnhof deutlich vor Mitternacht viele aufgewühlte Passanten zugelaufen und hätten von Schlägereien, Diebstählen und sexuellen Übergriffen auf Frauen berichtet, schrieb der Beamte im Bericht, der am Donnerstag der Nachrichtenagentur dpa vorlag. Die Polizei habe Schwerverletzte oder Tote befürchtet und daher um 23.30 Uhr mit der Räumung des Platzes zwischen Bahnhof und Dom begonnen.
In der ersten Pressemitteilung der Polizei am Neujahrsmorgen war die Stimmung in der Innenstadt dagegen als «friedlich» bezeichnet worden. Erst zwei Tage nach Silvester hatte die Polizei über Übergriffe informiert.
«Spiessrutenlauf»
Hingegen schreibt der Bundespolizist: «Frauen mit Begleitung und ohne durchliefen einen im wahrsten Sinne »Spiessrutenlauf« durch die stark alkoholisierten Männermassen, wie man es nicht beschreiben kann». Viele weinende und schockierte Frauen und Mädchen hätten den Beamten von sexuellen Übergriffen berichtet.
Hätten die Beamten Hilferufe wahrgenommen, seien sie von Umstehenden, die Ringe um Täter und Opfer gebildet hätten, am Einschreiten gehindert worden. Daher sei auch eine Identifizierung der Angreifer nicht möglich gewesen.
Wegen der ständigen Präsenz der Polizei und aufmerksamer Passanten hätten Vergewaltigungen verhindert werden können. Massnahmen der Polizei sei mit einer Respektlosigkeit begegnet worden, wie er sie in 29 Dienstjahren noch nicht erlebt habe, schrieb der Beamte.
Auffällig sei die «sehr hohe Anzahl an Migranten innerhalb der polizeilichen Massnahmen» gewesen. Da die Polizei «nicht jedem Opfer einer Straftat helfen und den Täter dingfest machen konnte, kamen die eingesetzten Beamten an die Grenze zur Frustration», schreibt der Bundespolizist im Bericht, der zunächst der «Bild»-Zeitung und dem Magazin «Der Spiegel» vorgelegen hatte.
Die Bundespolizei bestätigte am Donnerstag die Echtheit des Berichts, den die «Bild» veröffentlichte. Sie erklärte, sie wolle den Bericht derzeit öffentlich nicht bewerten. Er fliesse aber in die Nachbereitung des Einsatzes ein, sagte ein Sprecher.
Merkel: «Widerwärtigen Taten»
«Was in der Silvesternacht passiert ist, das ist völlig inakzeptabel», sagte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel am Donnerstag in Berlin. «Es sind widerwärtige, kriminelle Taten, (…) die Deutschland nicht hinnehmen wird.» Wenn sich Frauen schutzlos und ausgeliefert fühlten, sei das auch für sie persönlich unerträglich.
Es müsse geklärt werden, ob es in manchen Gruppen Frauenverachtung gebe. «Wir müssen dem mit aller Entschiedenheit entgegentreten», betonte die Kanzlerin. Sie glaube nicht, dass es sich nur um Einzelfälle handle.
Der Staat habe die Pflicht, die richtigen Antworten zu finden, «wenn es rechtlicher Änderungen bedarf, oder wenn es auch Polizeipräsenz bedarf». Der deutsche Justizminister Heiko Maas hatte zuvor gesagt, es sei möglich, dass die Täter der Silvesternacht aus Deutschland ausgewiesen werden können. Asylsuchende könnten auch während eines laufenden Asylverfahrens ausgewiesen werden.
16 Verdächtige identifiziert
Die Kölner Polizei hat inzwischen nach eigenen Angaben Hinweise auf 16 Verdächtige, welche vor allem aus dem nordafrikanischen Raum stammen. Zugleich stieg den Ermittlern zufolge die Zahl der Strafanzeigen von Opfern der Übergriffe und Raubstraftaten auf 121.
Laut Polizei wird es nun Aufgabe der Beamten sein, den 16 identifizierten Männern «konkrete Straftaten nachzuweisen». Dazu würden unter anderem Videosequenzen analysiert und die Aussagen von Opfern und Zeugen ausgewertet.