Pornografie und Politik: Keine Liebesgeschichte

Review zu „Dispositive digitaler Pornografie. Zur Verflechtung von Ethik, Technologie und EU-Internetpolitik“ von Doris Allhutter (2009) // Trotz jährlich wiederkehrender Proteste öffnete die Extasia in Basel dieses Wochenende, bereits zum dritten Mal in Folge, ihre Pforten. Betrachtet man sie als Abriss der derzeitigen Pornobranche, lohnt sich ein Blick hinter die nackte Haut. Trotz einer explizit für […]

Review zu „Dispositive digitaler Pornografie. Zur Verflechtung von Ethik, Technologie und EU-Internetpolitik“ von Doris Allhutter (2009) //

Trotz jährlich wiederkehrender Proteste öffnete die Extasia in Basel dieses Wochenende, bereits zum dritten Mal in Folge, ihre Pforten. Betrachtet man sie als Abriss der derzeitigen Pornobranche, lohnt sich ein Blick hinter die nackte Haut. Trotz einer explizit für Frauen eingerichteten Womens Only Zone, in welche sich, durch Security, kein männliches Auge verirren durfte, war das Angebot überwiegend auf den durchschnittlich männlich-heterosexuellen Pornokonsument zugeschnitten. Differenzideologien herrschen als Ordnungslogik: Männer bekommen 5-CHF-Gutscheine einer bekannten Amateurporno-Webseite gereicht, Frauen Info-Broschüren zur Selbstprostitution derselbigen. 

Eine Grenzverschiebung innerhalb der Mainstream-Pornografie, zu Gunsten alternativer Sichtweisen, konnte, trotz grossem digitalen Pornografie-Angebot, nicht beobachtet werden. Doris Allhutter bespricht in ihrer Abhandlung „Dispositive digitaler Pornografie. Zur Verflechtung von Ethik, Technologie und EU-Internetpolitik“ ebendiesen Aspekt: Die liberale Forderung nach Meinungsfreiheit und -vielfalt relativiert sich, unter dem Gesichtspunkt, dass Herstellung und Vertrieb von Mainstream-Pornografie sich nach marktwirtschaftlichen Aspekten orientieren.
Anna Schillinger stellt das Buch kurz und knapp vor.

(Bild: x)

Wovon handelt das Buch?
Von der diskursiven Verwobenheit wissenschaftlicher Pornografie-Diskurse, soziotechnologischer Praktiken der Herstellung, Verbreitung und Aneignung digitaler Pornografie, sowie dem EU-Diskurs zur Internetpornografie. 
Nach Allhutter werden durch Herstellungs-, Verbreitungs- und Aneignungsprozesse digitaler Pornografie realitätsmächtige Herrschaftsstrukturen und Ideologien menschlicher Differenz reproduziert. Sie schreiben sich, in Form pornografischer Codes, von Medium zu Medium fort, finden jedoch keinen Eingang in den politischen Diskurs um Pornografie. Dieser baut vielmehr seine Argumentationslogik auf bestehenden wissenschaftlichen Brüchen und Widersprüchen zur Pornografie auf und schreibt diese innerhalb rechtlicher Beschlüsse fort. So werden, im politischen Rahmen, soziale und geschlechterrelevante Aspekte und ihr schädliches Potential, ausgeklammert und sexistische, rassistische und klassenspezifische Gesellschaftsstrukturen verfestigt.

Schlagworte?
Hegemonie, Privatwirtschaft, Jugendschutz

Was ist eine zentrale These des Buches?
Pornografie wird durch gesetzliche Reglementierung privatwirtschaftlich, rückt hierdurch aus dem Fokus öffentlicher Diskussion und wird dethematisiert und entdiskursiviert.

Wieso ist das bedenklich?
Da die EU keine gesetzlichen Lösungsansätze zur Regulierung von Internetinhalten bietet, sondern lediglich technische Massnahmen empfiehlt (Filter-/Blockingsysteme), geht die Bewertung und Definitionsmacht pornografischen Materials an privatwirtschaftliche Unternehmen über. NutzerInnen werden angehalten diese im Internet einzusetzen, ohne über die Auswirkungen der freiwilligen Selbstzensur informiert zu werden, die ihnen auferlegt wird. Hierdurch wird die Verantwortung über den Pornografie-Konsum bei den  NutzerInnen angesiedelt. Es wird keine juristische Lösung geboten, um die Verbreitung sexistischen/rassistischen pornografischen Materials im Internet zu unterbinden. Eine Debatte, welche Inhalte durch das Prinzip der freien Meinungsäusserung geschützt sein sollten, wird dadurch ausgeblendet.

Warum empfehlen Sie dieses Buch?
Allhutter arbeitet nicht nur die gesetzlichen und öffentlich-diskursiven Lücken in Bezug zu Pornografie heraus, sondern nimmt in ihrer Argumentation auch eine interessante Position ein. Sie selbst beschreibt diese als dekonstruktivistisch-feministisch. Dieser Zugang zeichnet sich dadurch aus, dass das Zusammenspiel von Technik und Geschlecht mit gesellschaftstheoretischer Kritik verbunden wird. 

Lieblingssatz?
„Trotz der viel zitierten ›digitalen Revolution‹ bleiben charakteristische Aspekte der Standardisierung und Normalisierung kultureller, vergeschlechtlichter Kodes von Sexualität, die informationstechnologische Naturalisierung von Geschlechterdifferenzen und rassistischen, ethnisierenden und sozialhierarchischen Differenzen sowie die Rolle, die die Virtualität, Interaktivität und Vernetzung in den Aneignungsprozessen dieser Konstruktionen spielen, eine absolute Leerstelle im Politikprozess.“

Woran erinnert es Sie?
An die immer wieder aufflammende Debatte um Kinderpornografie, welche in der EU als einzig gesetzeswidrige Pornografie ausgezeichnet ist. In der Schweiz sieht die Lage anders aus: Sowohl Kinderpornografie, als auch harte Pornografie (Sodomie, Fäkalien) sind gesetzeswidrig. Ebenfalls interessant: in der Schweiz liegt das Schutzalter bei 16, in Deutschland bei 18 Jahren.

 

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