Die Atomabfall-Genossenschaft Nagra nennt in einem internen Papier zwei Standorte für Atommüll-Endlager: das Zürcher Weinland und Jura-Ost AG. Die Nagra will das Papier als eines von vielen möglichen Szenarien verstanden wissen. Geologieprofessor Walter Wildi zweifelt an dieser Darstellung.
Wie er auf Anfrage der sda sagte, gibt es seines Wissens nur dieses eine Nagra-Dokument mit dem einen Szenario. Sollte es tatsächlich noch weitere Szenarien geben, müssten dazu seiner Einschätzung nach ebenfalls Dokumente existieren.
Zudem sei die Aktennotiz sehr präzise, enthalte Standortbezeichnungen und sei nicht unplausibel, sagte Wildi. Sie umfasse eine Art Aktionsplan und einen Kalender. Übrig blieben jene zwei Standorte, von denen schon länger vermutet werde, dass sie von der Nagra ins Auge gefasst würden.
Atomkritiker Wildi, der als Professor an der Universität Genf lehrt, war im August aus dem Beirat Entsorgung zurückgetreten. Er begründete diesen Schritt mit der „unverantwortlichen Sicherheitskultur“ bei der Suche nach einem Tiefenlager.
„Eines von vielen möglichen Szenarien“
Die Aktennotiz mit dem Titel „Abstimmungsbesprechung Explorationsplanung“ stammt vom 18. November 2011. Darin nennt die Nagra auf einer mit dem Vermerk „vertraulich“ versehenen Folie zwei Standorte für Atommüll-Endlager: Zürich Nordost (Weinland) für hochradioaktive Abfälle und Jura-Ost (ehemals Bözberg AG) für schwach- und mittelradioaktive Abfälle.
Für die beiden Standorte würde gemäss Bohrprogramm ein Rahmenbewilligungsgesuch eingereicht. Nach ein paar Bohrungen wieder gestoppt würde hingegen die Untersuchung der Standorte Nördliche Lägern AG/ZH und Südranden SH. Gar keine Erwähnung finden die Standorte Wellenberg NW und Jura-Südfuss (AG).
Die „SonntagsZeitung“ thematisierte das Dokument in ihrer aktuellen Ausgabe und auf stellte es auf ihre Website. Die Nagra will das Papier als eines von vielen möglichen Szenarien verstanden wissen.
Papier dem BFE bekannt
Das Bundesamt für Energie (BFE) klärt nun ab, welchem Zweck das Dokument tatsächlich dient. Das (BFE) hat seit dem 19. September Kenntnis von der Aktennotiz der Nagra. Dies sagte BFE-Sprecherin Marianne Zünd am Sonntag auf Anfrage der Nachrichtenagentur sda. An einer Sitzung der Arbeitsgruppe des Bundes für nukleare Entsorgung (Agneb) habe Wildi das Dokument thematisiert.
Das BFE hat sich laut Zünd nach der Agneb-Sitzung umgehend an die Nagra gewandt, die dem Bundesamt die geforderten Unterlagen Ende September zugestellt hat. Nun seien Abklärungen im Gang, sagte Zünd: „Die Nagra wird uns einiges erklären müssen.“ Unter anderem will das BFE wissen, welchem Zweck die fragliche Planung genau dient, in welchem Zusammenhang sie steht und weshalb die Nagra die Standorte mit Namen nennt, wenn es sich um ein Modell handeln soll.
Zudem sei nicht klar, ob das BFE dieselben Unterlagen erhalten habe, die Wildi an der Sitzung erwähnt hatte. Laut Marianne Zünd ist es durchaus legitim, dass die Nagra verschiedene Strategien plant. Seltsam mute aber die Art und Weise des Vorgehens an.
„Eines von vielen möglichen Szenarien“
Die Nagra verteidigt sich. Sie hat am Sonntag eine Stellungnahme zum Bericht der „SonntagsZeitung“ sowie die umstrittene Aktennotiz auf ihrer Website veröffentlicht.
In der Stellungnahme schreibt sie, es gebe „keine Vorfestlegung von Standorten“. Die Aktennotiz beschreibe „eines von vielen möglichen Szenarien“, welches die Basis für die Berechnungen der nötigen personellen und finanziellen Ressourcen darstelle. Es beschreibe jedoch nicht die Planung.
Besorgte Ursula Hafner
Besorgt über das Nagra-Dokument zeigt sich die Schaffhauser Regierungspräsidentin Ursula Hafner (SP). Im Interview mit der „SonntagsZeitung“ sagte sie, das Papier liefere „einen weiteren Hinweis auf die Voreingenommenheit der Nagra“. Die Nagra müsse nun „sehr viel erklären“.
Reagiert hat auch die Regionalkonferenz Nördlich Lägern. Sie erwartet von der Nagra „umgehend eine detaillierte Stellungnahme“, wie sie mitteilte. Das Papier verunsichere und verärgere die Bevölkerung. Es werde der Verdacht geschürt, dass die Regionalkonferenzen reine Alibiübungen seien. Damit fühlten sich alle daran Beteiligten „für ein politisches Manöver missbraucht“.