Tausende Demonstranten sind in Bulgarien auch nach dem Rücktritt der Regierung wieder auf die Strasse gegangen, um gegen hohe Strompreise und ausländische Monopole zu protestieren. In der Hauptstadt Sofia sperrten sie am Mittwochabend die wichtigste Kreuzung.
Die Aktivisten protestierten auch am Parlament. Dort bekundeten Anhänger des scheidenden Ministerpräsidenten Boiko Borissow ihre Solidarität mit seiner bürgerlichen Regierung. Ein starkes Polizeiaufgebot verhinderte Zusammenstösse beider Lager.
Proteste gab es unter anderem in den Schwarzmeerstädten Warna und Burgas, in Blagoewgrad und in Wraza. Überall richtete sich die Wut gegen hohe Rechnungen für Strom, Zentralheizung und Leitungswasser.
Die über das Internet organisierten Demonstranten forderten eine Überprüfung aller Monopolisten. Sprecher der Aktivisten forderten einen „Systemwechsel“ und die Schaffung einer „Bürgerverwaltung“.
Rücktritt eingereicht
Borissow reichte am Mittwoch nach schweren Ausschreitungen seinen Rücktritt und die Demission des gesamten Kabinetts ein. „Ich will nicht an einer Regierung beteiligt sein, unter der die Polizei Menschen schlägt und unter der die Bedrohungen durch Proteste die politische Debatte ersetzen“, sagte Borissow bei seiner Rücktrittserklärung vor dem Parlament in Sofia.
„Wir haben Würde und Ehre. Es ist das Volk, das uns an die Macht brachte, und wir geben sie ihm heute zurück“, erklärte Borissow. Seine Regierung habe angesichts der Proteste im Land das „Maximum“ gegeben, mehr könne sie nicht tun. „Ich will kein Blut mehr auf der Strasse sehen“, fügte er hinzu.
Protestwelle fordert Tote
Tausende Menschen gingen in den vergangenen zehn Tagen landesweit auf die Strasse. Die Protestwelle hatte mit Kundgebungen gegen die hohen Strompreise begonnen und sich dann gegen die Regierung gewendet.
Dutzende Menschen wurden bei Auseinandersetzungen mit der Polizei verletzt, zahlreiche Regierungsgebäude Ziel von Angriffen. Zwei Menschen zündeten sich im Zuge der Proteste selbst an, einer von ihnen starb.
Ursprünglich sollte das bulgarische Parlament am Mittwoch über eine Kabinettsumbildung abstimmen, nachdem Borissow versucht hatte, den Demonstranten mit der Entlassung des unbeliebten Finanzministers Simeon Dschankow entgegenzukommen.
Borissow hatte sein Amt im Juli 2009 mit den Versprechen übernommen, das ärmste EU-Land zu modernisieren, die Einkommen auf mitteleuropäisches Niveau anzuheben und die Korruption wirksamer zu bekämpfen. Wie es nach dem Rückzug der Regierung nun weitergeht, ist offen.
Neuwahlen vielleicht im April
Borissow erklärte, dass seine GERB-Partei nicht an einer Interimsregierung teilnehmen werde. Die regulären Parlamentswahlen wären im Juli. Nun ist von vorgezogenen Wahlen Ende April die Rede.
Laut Verfassung muss Präsident Rossen Plewneljew drei Parlamentsparteien nacheinander mit der Regierungsbildung beauftragen. Dies wären Borissows GERB, die oppositionellen Sozialisten sowie eine dritte Partei seiner Wahl.
Da sich aber alle Parteien für Neuwahlen aussprachen, kann der Staatschef eine Expertenregierung mit der Vorbereitung der Wahlen beauftragen.
Nach Einschätzung des Politologen Dimitar Awramow sind Neuwahlen im Interesse der GERB. Bis Juli hätte die Partei seiner Ansicht nach massiv an Zustimmung verloren.
Reformen unvermeidlich
Laut einer jüngsten Gallup-Umfrage kommt die Regierungspartei derzeit auf 22 Prozent, genauso wie die Sozialisten. Borissows Zustimmungswerte liegen demnach bei 29 Prozent, womit er mit Sozialistenchef Sergej Stanischew gleichauf liegt.
Die Arbeitslosigkeit liegt laut offiziellen Zahlen bei 11,5 Prozent. Gewerkschaften zufolge beträgt sie dagegen 17 bis 18 Prozent.