In Moskau ist einer der prominentesten Kritiker des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf offener Strasse durch Schüsse aus einem vorbeifahrenden Auto ermordet worden. Der 55-jährige Boris Nemzow ging über eine Brücke, als ihn vier Schüsse in den Rücken trafen.
Der Nachrichtenagentur Tass zufolge wollte Nemzow nach dem Abendessen in einem Restaurant kurz vor Mitternacht am Freitagabend noch einen Spaziergang am Roten Platz machen. Seine Begleiterin, Medien zufolge eine 23 Jahre alte Ukrainerin, überlebte das Attentat. Laut Polizei wurden die Schüsse aus einem vorbeifahrenden, weissen Auto abgefeuert.
Nemzows Tod löste im Westen und bei der russischen Opposition Bestürzung aus. Der Kreml sprach von einer gegen die Regierung gerichteten «Provokation». Weggefährten vermuten hingegen, dass Nemzow sein jahrelanger Kampf gegen den Kreml zum Verhängnis wurde.
Der frühere Vize-Regierungschef hatte nur drei Stunden vor dem Attentat dem Kreml-Chef im Radiosender Moskauer Echo erneut eine «unsinnige Aggression gegen die Ukraine» vorgeworfen. Nemzow soll überdies an einem Bericht über die russische Beteiligung am Ukraine-Konflikt gearbeitet haben. In dem Radiointerview, das zu seinem politischen Vermächtnis wurde, forderte Nemzow auch Putins Rücktritt.
Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erklärte, das «brutale Attentat» trage «die Zeichen eines Auftragsmordes» und sei eine «grosse Provokation». Peskow versicherte zugleich, Nemzow habe «keinerlei politische Gefahr» für Putin dargestellt. Das russische Ermittlungskomitee wertete die Tat als einen «Versuch zur Destabilisierung der politischen Lage im Land».
Putin sagte der Mutter Nemzows in einem Beileidstelegramm zu, dass alles getan werde, damit die Auftraggeber und Täter des «niederträchtigen und brutalen Mordes» bestraft würden.
Mögliches Fluchtauto gefunden
Das Fluchtauto der Täter wurde laut den Ermittlern inzwischen möglicherweise gefunden. Der TV-Sender Rossija 24 zeigte ein weisses Fahrzeug mit einem Nummernschild der russischen Teilrepublik Inguschetien, die im islamisch geprägten Konfliktgebiet Nordkaukasus liegt.
Zuletzt hatten Ermittler als einen von mehreren Ermittlungsansätzen auch einen islamistischen Hintergrund für den Mord nicht ausgeschlossen. Nach Darstellung der obersten Ermittlungsbehörde in Moskau hatte es gegen Nemzow Drohungen gegeben, nachdem der Politiker sich im Zuge des Anschlags auf das Pariser Satiremagazin «Charlie Hebdo» solidarisch mit den Franzosen gezeigt hatte.
Trauer in Moskau
Der Mord sorgte für grosse Bestürzung in der russischen Hauptstadt. Zahlreiche Moskauer strömten zum Tatort, um dort Blumen niederzulegen und Kerzen anzuzünden. Oppositionelle würdigten Nemzow, der als einer der schärfsten Kritiker der russischen Ukraine-Politik galt, als Kämpfer für die Wahrheit.
Moskau genehmigte für diesen Sonntag überraschend eine Trauerkundgebung für 50’000 Menschen im Stadtzentrum. Die Initiative ging demnach vom Oppositionsführer und Ex-Regierungschef Michail Kasjanow aus. Er hatte mitgeteilt, dass die Opposition nach dem Mord auf einen geplanten Marsch gegen Putin verzichten werde.
Sorge im Westen
Nemzows Tod löste international Bestürzung aus. US-Präsident Barack Obama forderte eine unparteiische und transparente Untersuchung, um die Verantwortlichen für den Mord zur Rechenschaft zu ziehen. Russland verliere mit Nemzow einen der stärksten Kämpfer für die Rechte des Volkes.
Die Schweiz forderte die russischen Behörden auf, alles zu unternehmen, dass das Verbrechen aufgeklärt wird und die Täter zur Rechenschaft gezogen werden, wie es in einer Mitteilung des Eidg. Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) heisst.
Nemzow wurde zuletzt mit den Worten zitiert, Putin würde ihn womöglich gerne tot sehen wegen seiner Opposition gegen die russische Ukraine-Politik. Regierungskritiker erinnerten daran, dass Nemzow immer wieder Drohungen erhalten, zusätzliche Sicherheitsmassnahmen aber abgelehnt habe.
Nemzow war Ende der 90er Jahre kurzzeitig Vize-Ministerpräsident unter Putins Vorgänger Boris Jelzin. Er machte sich auch im Kampf gegen die Korruption im Land einen Namen. Zuletzt wurden die hohen Ausgaben für die Olympischen Winterspiele in Sotschi angeprangert.