Der Bundesrat lehnt die Initiative «Raus aus der Sackgasse» (Rasa) ab. Das Volksbegehren könnte jedoch Gelegenheit für einen klärenden Urnengang bieten: Ein direkter Gegenvorschlag soll Verfassung, Gesetz und Freizügigkeitsabkommen wieder in Übereinstimmung bringen.
Am Mittwoch hat der Bundesrat erst einen Grundsatzentscheid gefällt. Den Inhalt eines Gegenentwurfs will er dann festlegen, wenn das Parlament beschlossen hat, wie die Masseneinwanderungsinitiative umgesetzt werden soll.
Dass er sich trotzdem schon jetzt zu Rasa äussert, hat mit Fristen zu tun. Spätestens ein Jahr nach Einreichung einer Initiative muss der Bundesrat dem Parlament eine Empfehlung dazu abgeben. Im Fall von Rasa läuft diese Frist morgen Donnerstag ab. Für einen Gegenvorschlag hat der Bundesrat nun sechs weitere Monate Zeit.
«Wir hätten die Beratungen abgewartet, wenn wir die Frist nicht gehabt hätten», erklärte Justizministerin Simonetta Sommaruga vor den Bundeshausmedien. So aber sieht sich der Bundesrat in der aussergewöhnlichen Lage, eine Stellungnahme zur Aufhebung eines Verfassungsartikels abgeben zu müssen, während dieser noch umgesetzt wird.
Unvollständige Umsetzung
Über den möglichen Inhalt eines direkten Gegenvorschlags liess sich Sommaruga nichts entlocken. Der Grundsatzentscheid basiert aber auf der Annahme, dass der Ständerat bei der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative im Wesentlichen dem Nationalrat folgt.
Die grosse Kammer hat in der Herbstsession ein Stellenmeldepflicht beschlossen. Diese trägt das Etikett «Inländervorrang light». Die Lösung ist nach Ansicht des Bundesrats zwar mit dem Freizügigkeitsabkommen mit der EU vereinbar. Den Zuwanderungsartikel in der Verfassung setzt sie aber nicht vollständig um.
Im Entscheid des Nationalrats sieht Sommaruga eine Wahl in einem unauflösbaren Dilemma. «Wenn das Parlament einer Seite klar den Vorrang gibt, ist der Bundesrat der Meinung, dass das in der Verfassung abgebildet werden muss», sagte sie.
Um eine unvollständige Umsetzung abzubilden, muss der Zuwanderungsartikel abgeschwächt werden. Darüber könne die Bevölkerung noch einmal abstimmen, betonte Sommaruga. «Das ist demokratiepolitisch ein starkes Zeichen.»
Schonfrist noch nicht abgelaufen
Demokratiepolitische Gründe bewogen den Bundesrat auch dazu, die Rasa-Initiative zur Ablehnung zu empfehlen. Diese verlangt, den Zuwanderungsartikel, der das Verhältnis zur EU schwer belastet, ersatzlos zu streichen.
Der Bundesrat sei wie die Initianten der Meinung, dass die bilateralen Verträge erhalten bleiben müssten, erklärte Sommaruga. Er lehne es aber ab, ein Abstimmungsergebnis nach so kurzer Zeit wieder rückgängig zu machen. Welche Schonfrist angemessen wäre, konnte Sommaruga nicht sagen.
Der Bundesrat rechnet damit, dass die Räte die Umsetzung des Zuwanderungsartikels in der Wintersession unter Dach und Fach bringen. Danach will er rasch eine Vernehmlassung zu einem allfälligen Gegenvorschlag durchführen. Die Beratungen im Parlament würden voraussichtlich erst in der Herbstession 2017 beginnen. Ein Urnengang wäre demnach 2018 möglich.
Erste Gedanken
Angesichts des engen Fahrplans hat der Bundesrat zwar keine materielle Diskussion über einen Gegenvorschlag geführt, sich aber sehr wohl erste Gedanken dazu gemacht, wie Sommaruga sagte. Gemäss Quellen in der Verwaltung stehen mehrere Varianten zur Diskussion.
Eine davon ist ein genereller Vorrang des Völkerrechts, also auch des Freizügigkeitsabkommens. Gemäss Bundesgericht gilt das schon heute. Allerdings hat diese Vorrangregelung den politischen Konflikt zwischen Masseneinwanderungsinitiative und Personenfreizügigkeit bisher nicht aufzulösen vermocht.
Ausserdem würde damit auch noch die Selbstbestimmungsinitiative der SVP in die Diskussion einbezogen. Diese will genau das Gegenteil, nämlich einen verfassungsmässig garantierten Vorrang des Landesrechts vor Völkerrecht.
Die zweite Variante eines Gegenvorschlags ist ein Europa-Artikel, der das bilaterale Verhältnis in der Verfassung absichern würde. Der Normenkonflikt würde dadurch nicht aufgelöst, da die neue Bestimmung auf der gleichen Stufe wie der Zuwanderungsartikel angesiedelt wäre. Zudem würde die Diskussion über die Zuwanderung zu einer allgemeinen Debatte über das Verhältnis Schweiz-Europa ausgeweitet.
Steuerung ohne Kontingente
Schliesslich steht die Anpassung des Zuwanderungsartikels zur Diskussion. Gestrichen würde die Vorschrift, die Zuwanderung mit Höchstzahlen und Kontingenten zu steuern. Das grundsätzliche Ziel könnte aber beibehalten werden.
Diesen Auftrag anerkennt der Bundesrat ausdrücklich: Trotz rückläufiger Zuwanderung sei er der Ansicht, dass die Zuwanderung weiterhin mit geeigneten Massnahmen gesteuert werden solle, schreibt er in einer Mitteilung.