Die neue Baselbieter Regierungsrätin Monica Gschwind will die Kulturpolitik «überdenken» – und vergisst dabei die Öffentlichkeit, die ein Recht auf Information hat.
Unter dem sinnigen Motto «Kein Stein bleibt auf dem anderen» strebt Monica Gschwind, die neue Bildungsdirektorin des Baselbiets, in die unmittelbare Zukunft. Die Bildungspolitik startete sie mit einem «Marschhalt» und will damit der aus ihrer Sicht überbordenden Reformpolitik Einhalt gebieten.
Ebenfalls einen Marschhalt hat sie der Baselbieter Kulturpolitik verordnet. Die Wahl des neuen Kulturbeauftragten wäre längstens überfällig. Aber offensichtlich sieht die Direktion Gschwind dies anders. Nach dem unvermittelt raschen Abgang von Niggi Ullrich, dem langjährigen Kulturbeauftragten des Kantons Ende 2014, konnte man zur Kenntnis nehmen, dass die Stelle ausgeschrieben worden war, eine Findungskommission scheinbar fündig wurde und eine Einerkandidatur hätte vorgestellt werden können – wenn nicht die designierte Regierungsrätin Monica Gschwind bereits vor ihrem Amtsantritt interveniert hätte und die Nomination ausgesetzt worden wäre.
Als Kulturinteressierter hoffte man, dass Monica Gschwind noch diesen Sommer die neue Kulturbeauftragte respektive den neuen Kulturbeauftragten vorstellen würde. Nichts da. Nun gut, jede Regierungsrätin hat nach Amtsantritt 100 Tage lang Zeit, sich unter Ausschluss der Medien einzuarbeiten und vorzubereiten. Im vorliegenden Fall ist das allerdings etwas merkwürdig, da die neue Regierungsrätin sich ja bereits schon explizit zu ein paar anderen Themen ihrer Direktion geäussert hat. Bezüglich der Kulturpolitik wissen wir nur, dass Gschwind diese «überdenken» will.
Das Baselland verfügt über ein verbindliches Kulturleitbild – daran muss sich auch die neue Regierung halten.
Das lässt Schlimmes befürchten. Vielleicht müsste man an dieser Stelle einmal darauf hinweisen, dass der Kanton Baselland über ein rechtsgültiges und vom Parlament abgesegnetes Kulturleitbild verfügt. Dieses Leitbild ist verbindlich und deckt das Zeitfenster 2013 bis 2017 ab. Ergo kann Frau Gschwind ihre kulturellen Positionen zwar persönlich überdenken und ihre eigenen Vorstellungen zur Diskussion bringen – aber sie kommt an diesem offiziellen Leitbild nicht vorbei.
Das aktuelle Kulturleitbild ist in einem aufwendigen und breit abgestützten Vernehmlassungsprozess entstanden. Einige Hundert Menschen haben sich engagiert daran beteiligt. Das Kulturleitbild ist zudem ein parteiübergreifendes Konsenspapier. Alle Baselbieter Parteien haben bei der Erarbeitung und Entwicklung mitgearbeitet.
Es ist daher ziemlich frivol und zeugt von einem gesunden Selbstbewusstsein, als frisch gebackene Regierungsrätin die Richtigkeit und Gültigkeit dieser kulturellen Grundlage zur Disposition zu stellen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass der Regierungsrat seine Arbeit jeweils auf die kontinuierliche Weiterentwicklung der Baselbieter Kulturförderung mit bisher fünf Leitbildern (1989, 1996, 2002 und 2007) abgestützt hat.
Es gibt also weder ein Vakuum noch eine Vakanz, welche eine neue Kulturpolitik rechtfertigen würden. Das aktuelle Kulturleitbild ist noch jung, es besteht keine Not, es zu überarbeiten. Sollte Monica Gschwind trotzdem eklatante Mängel feststellen, müsste sie dies kommunizieren und entsprechende politische Prozesse in Gang setzen.
Verträge und Vereinbarungen können nicht jederzeit und einseitig aufgelöst werden.
Ein neues Kulturleitbild müsste vom Landrat für die Zeit nach 2017 in Auftrag gegeben werden. Obwohl im aktuellen Kulturleitbild an der Kooperation mit Basel-Stadt festgehalten und das finanzielle Engagement beziffert wird, hat Regierungsrätin Gschwind verlautbart, dass sie an eine Aufkündigung des Kulturvertrags denkt und die entsprechenden Mittel reduzieren will. Das ist nicht statthaft und vermutlich auch rechtlich nicht machbar. Verträge und Vereinbarungen können nicht jederzeit und einseitig aufgelöst werden.
Kurz: Das Demokratieverständnis von Monica Gschwind ist gewöhnungsbedürftig. Es ist zu hoffen, dass die Baselbieter Kulturpolitik in Zukunft nicht zum Top-down-Projekt wird. Da wir immer noch in demokratischen Verhältnissen leben und die Sparpolitik der amtierenden bürgerlichen Baselbieter Regierung kein Blankocheck für die radikale Abkehr von bisherigen Errungenschaften und die Auslassung politischer Prozesse ist, möchte ich beliebt machen, dass die Kulturpolitik ab sofort wieder zum öffentlichen Thema wird: Die Öffentlichkeit hat ein Recht auf Information und einen adäquaten Diskurs.
In der Kulturabteilung wird Dienst nach Vorschrift geleistet.
Ich finde es zudem äusserst befremdlich, dass die offene Stelle des Kulturbeauftragten seit Monaten interimistisch besetzt ist. Damit wird die Kulturabteilung gezwungen, Dienst nach Vorschrift zu leisten – mit einem Interimsvorsteher, der im Nebenamt als Geschäftsführer von Augusta Raurica agiert. Oder umgekehrt.
Natürlich ist auch dies eine Spielvariante: Man lässt die Baselbieter Kultur langsam aushungern, behandelt sie als Marginalie und nimmt ihr den Ansprechpartner und das Sprachrohr. Dabei war man als einfacher Citoyen kurzfristig der Meinung, dass die Bürgerlichen eine starke Baselbieter Kultur als Identifikationsmerkmal pflegen würden. Aber eben, was kümmern uns die Sonntagsreden von gestern.
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Christoph Meury ist Kulturschaffender und ehemaliger Leiter des Theater Roxy.