Wie kommt ein Elektriker in den Besitz von 271 Werken von Pablo Picasso? Die Frage wird ab Dienstag bei einem ungewöhnlichen Prozess im südfranzösischen Grasse im Mittelpunkt stehen. Verantworten müssen sich wegen Hehlerei ein Rentner und seine Ehefrau.
Das Paar hatte den der Öffentlichkeit unbekannten Kunstschatz jahrzehntelang in seiner Garage aufbewahrt. Der Mittsiebziger Pierre Le Guennec, der einst als Elektriker für Picasso arbeitete, spricht von einem Geschenk des Malers, die Erben des Künstlers halten das für eine Lüge.
Seinen Ursprung hat der Prozess im Jahr 2010: Le Guennec schickt Fotos der Werke an Picassos Sohn Claude, den Nachlassverwalter der Familie. Er will Echtheitszertifikate für die Bilder, kubistischen Collagen und Skizzen. Schliesslich reist Le Guennec sogar mit einem Koffer voller Werke nach Paris. Claude Picasso erkennt schnell, dass es sich um Originale seines Vaters handelt – und erstattet umgehend Anzeige.
Das Auftauchen der Picassos ist eine Sensation, der Fall sorgt weit über die Grenzen Frankreichs hinaus für Schlagzeilen. Denn Le Guennec hatte die Werke – ihr Wert wurde bei ihrer Entdeckung auf 60 Millionen Euro geschätzt – fast 40 Jahre lang in seiner Garage in Mouans-Sartoux nördlich von Cannes aufbewahrt, die Existenz des Kunstschatzes war unbekannt.
Angeblich ein Geschenk des Meisters
Im Mai 2011 wird ein Ermittlungsverfahren gegen das Rentnerpaar eingeleitet, der Vorwurf lautet auf «Hehlerei mit gestohlenen Objekten». Die Anwälte von Picassos Erben – als Nebenkläger treten neben Claude Picasso unter anderem Picassos Töchter Paloma und Maya auf – müssen dabei nicht aufzeigen, wer die Werke gestohlen haben könnte. Es reicht zu beweisen, dass das Paar unrechtmässig an die Bilder gelangte und das wusste.
Das aber bestreitet der frühere Elektriker. Er gibt an, für Picasso in dessen prächtigem Landhaus Notre-Dame-de-Vie im südfranzösischen Mougins gearbeitet zu haben, wo das Jahrhundertgenie bis zu seinem Tod 1973 lebte. Die Werke seien ein Geschenk Picassos und seiner letzten Frau Jacqueline gewesen.
«Er lud mich oft zu einem Kuchen oder einem Kaffee ein, der Meister und ich haben dann über dies und jenes gesprochen», erzählte Le Guennec der Nachrichtenagentur AFP im Jahr 2010. «Als ich an einem Abend nach der Arbeit gehen wollte, hat mir Madame ein kleines Paket gegeben und gesagt: ‚Das ist für Sie‘.»
Zuhause habe er sich die Skizzen und Bleistiftzeichnungen angeschaut, den Wert der Werke aber nicht erkannt. «Ich kannte mich überhaupt nicht aus», sagte Le Guennec. «Wenn Madame mir Gemälde gegeben hätte, dann wäre mir das schon komisch vorgekommen.»
Unsignierte Werke
Die Anwälte von Picassos Erben glauben dem Mittsiebziger und seiner Ehefrau kein Wort. «Sie erinnern sich an nichts, sie wissen nicht, ob sie das Geschenk 1970, 1971 oder 1972 bekommen haben», sagt Claude Picassos Anwalt Jean-Jacques Neuer. «Wenn man 271 Picassos geschenkt bekommt, dann erinnert man sich doch daran.»
Der Anwalt verweist zudem darauf, dass die zwischen 1900 und 1932 entstandenen Werke nicht unterzeichnet waren. «Picasso signierte immer im letzten Augenblick, bevor er etwas verschenkte oder verkaufte.» Im Klartext: Picasso hätte nie ein nicht signiertes Bild verschenkt. «Die Frage ist nicht, ob Picasso grosszügig war oder nicht», sagt Anwalt Neuer. «Er ist mit seinen Werken nicht leichtsinnig umgegangen, er hat sie nicht einfach so verschenkt.»
Der Anwalt der Angeklagten argumentiert dagegen, ein Diebstahl der Werke wäre gar nicht möglich gewesen. Picasso habe ein «aussergewöhnliches Gedächtnis» gehabt, das Landhaus sei zudem eine wahre «Festung» gewesen. Ausserdem seien nur rund zehn der 271 Picasso-Werke wertvoll – der Rest sei «ziemlich mittelmässig».