Vor fünfzig Jahren erschien Antonionis erster Farbfilm «Die rote Wüste». Das Stadtkino ehrt den italienischen Meister mit einer Retrospektive.
Wüst ist die Landschaft, auch wenn sie nun eine Farbe hat. Wüst und leer, und der Mensch, der in sie hineintappt, findet in ihr keinen Halt.
So war das in den ersten neun Filmen, die Michelangelo Antonioni drehte, dieser Spätgeborene des italienischen Neorealismus – Filme, in denen seine Figuren keine Protagonisten sind, keine Handelnden, die sich die Geschichte zu eigen machen, sondern Verlorene. Irrend in landschaftlichen Unorten, die keine Heimat stiften, nachzusehen in Antonionis Schwarzweissfilmen «Die Nacht» oder, berühmter, «Der Schrei».
In diesem kalten Epos von einem Arbeiter, der einsam durch die Po-Ebene zieht, zeigt sich dem Zuschauer ein Italien, wie er es bis dahin nur selten erlebt hatte: trüb, kalt, neblig und nass. Die Landschaft mit ihren geraden Strassen, weiten Feldern und Nebeln besitzt nichts Trostspendendes. Sie ist wüst, leer und banal, eine Peripherie im Übergang von Stadt, Industriegebiet, Agrar- und Brachfläche. Es ist das Italien der Nachkriegszeit, nach dem kathartischen Ende des Faschismus.
Trostlos in Farbe
Als sein erster Farbfilm markierte «Die rote Wüste», vor 50 Jahren im Kino, nur formal eine Wende. Schlote pumpen Rauch und Feuer in die Luft über der norditalienischen Stadt Ravenna, Turbinen speien Dampf, Nieselregen fällt über die Tristesse einer industrialisierten Landschaft.
Die einzige Farbe, die sich kontraststark von der Einöde abhebt, ist der grüne Mantel von Giuliana. Diese Frau, die Gattin eines in der Fabrik engagierten Ingenieurs, wird gespielt von Monica Vitti, Antonionis vertrauter und bevorzugter Darstellerin, und wie in seinen drei Filmen davor schickt er sie erneut in die Orientierungslosigkeit.
Nach einem Autounfall leidet sie an neurotischen Ängsten und verliert den Zugang zu ihrer Familie. Während ihr Mann von der neu aufgebauten Technik der Fabrik fasziniert ist und sich in dieser künstlichen, an Produktivität orientierten Umgebung schnell zurechtfindet, erscheint sie Giuliana bedrohlich leer und mutiert vor ihrem Auge zu einer endzeitlichen Vision der Einöde, der Entfremdung, schliesslich des Zerfalls. Den einzigen Ausweg scheint ihr eine Affäre mit einem Arbeitskollegen ihres Mannes zu bieten.
Die Parabel, die Antonioni hier strickt, ist vermeintlich klar: Das industrielle Zeitalter hat den Mensch aus seinem angestammten Verhältnis zu seiner Umgebung, der Natur, hinausgeworfen, und die versuchte Affäre ist eine reine Verzweiflungstat, sich durch zwanghafte Bindungen neu zu verwurzeln – ein Motiv, das bereits in «Liebe 1962» oder «Die Nacht» handlungsleitend war.
Die Art, wie er erstmals in einem Film Farbe einsetzt und sie zur Komplizin der Story, mehr noch: zur Mitverschwörerin von Giulianas Entfremdung macht, ist in ihrer ästhetischen Kühle revolutionär. Er hat die Farben nicht in den Film geholt, um einer Landschaftskulisse eine tiefere Schicht der Lebendigkeit zu verleihen, sondern benutzt sie als starre, surreale Flächen.
Eine langsame Studie darüber, was Landschaft mit dem Menschen anstellt.
Die Grellheit der Fabrikwände, die synthetisch-sterile Schönheit der Industrieanlagen und selbst das monotone Farbbild der Nylon-Kleider, ebenfalls industrielle Produkte, die natürliche Stoffe vom Markt verdrängt haben, lassen die übrigen Naturfarben blass aussehen. Grau ist der Himmel, schwarz das Gras, schwefelgelb das Wasser. Selbst einen Pinienwald liess Antonioni weiss bestreichen, um seinen sterbenden Charakter neben der Industrieanlage zu betonen.
«Die rote Wüste» ist eine (bei Antonioni gewohnt langsame) Studie über Landschaft und darüber, was sie mit dem Menschen anstellt. Wenn er entweder stumpf wie der Ingenieur oder mit einer unkontrollierbaren Sensibilität wie Giuliana reagiert, ist auch mit einem herrischen Menschenbild aufgeräumt, das der Krieg bereits arg demontiert hatte: Der Mensch ist seiner Umgebung unterworfen, und bricht er diese Verbindung auf, erhebt er sich nicht über die Natur, sondern geht in ihr verloren. Trotz all der kolorierten Fülle eine bedrückende Diagnose.
Kaum ein anderer europäischer Autorenfilmer hat seine Filme als derart durchdachte Bildkompositionen arrangiert wie Michelangelo Antonioni. Der studierte Volkswirtschafter hat während des Zweiten Weltkriegs im Umfeld der italienischen Filmstadt Cinecittà das Filmhandwerk erlernt, und in Italien drehte er seine ersten, bald so renommierten wie umstrittenen Filme, in deren Mittelpunkt immer wieder seelisch brüchige Protagonisten und ihre fragilen Gefühlsmomente standen. Italien wurde ihm schliesslich zu eng. Die Popkultur und die beginnende Protestbewegung interessierten ihn. Er ging nach London, drehte dort 1966 «Blow up» und 1969 in den USA «Zabriskie Point», schliesslich im China der Kulturrevolution eine Reportage, und 1974 das kulturpessimistische Psychodrama «Beruf Reporter». 1985 erlitt er einen Schlaganfall, der seine Produktivität arg einschränkte. Er starb 2007 im Alter von 94 Jahren in Rom. Das Stadtkino Basel zeigt bis Ende November eine Auswahl seiner Filme.