Die Lebensversicherungsbranche ist an einem Scheideweg angekommen. Einerseits bringen neue technologischen Möglichkeiten die Assekuranz unter Druck. Andererseits fordern regulatorische Veränderungen einen kompletten Wandel des Geschäftsmodells.
Zunächst erfordert das digitale Zeitalter ein vollkommenes Umdenken bei Lebensversicherungen. Neue Technologien, verbesserte Datengrundlagen sowie die Einbindung der Kunden werden nämlich die Branche laut einer neuen Sigma-Studie des Rückversicherers Swiss Re vom Mittwoch grundlegend wandeln.
So wird beispielsweise der Antragsprozess mit der Abschätzung des Versicherungsrisikos noch bei zahlreichen Lebensversicherern nicht automatisch durchgeführt. Dies liegt laut Swiss Re daran, dass häufig Informationen zur Beurteilung des Risikos nur in Papierform vorliegen. Mit der aufstrebenden Digitalisierung ist damit aber Schluss. Künftig müssen alle Marktteilnehmer auf einen komplett automatisierten Prozess zum Vertragsabschluss setzen.
Neue Datenwelt
Ein weiterer wichtiger Grund, weshalb die Lebensversicherungsbranche an einem Scheideweg steht, sind neue Datengrundlagen, die sich aus der Vernetzung der Welt ergeben. Bisher ungenutzte Informationsquellen, Onlineplattformen, neue Auswertungsmöglichkeiten verbessern die Handwerkszeuge der Konzerne enorm.
All dies dürfte den Gesundheitszustand der Kunden, dessen Beurteilung für eine Lebensversicherung von grosser Bedeutung ist, viel besser einschätzbar machen und damit die Risikoselektion transformieren.
Als Beispiel dafür, nennt der Schweizer Rückversicherer in seiner Analyse die Entwicklungen in Südafrika. Dort geniessen bei dem Unternehmen AllLife auch Menschen mit HIV-Infektionen oder Diabetes gewissen Risikoschutz von Lebensversicherern. Normalerweise erhält dieser Personenkreis kaum eine Police.
Um ihre Deckung aber aufrechtzuerhalten, müssten die Versicherungsnehmer regelmässig Blutuntersuchungen durchführen lassen und im Falle einer HIV-Infektion spezielle Medikamente einnehmen.
AllLife schickt Erinnerungen für entsprechende Untersuchungen und kontrolliert die Ergebnisse, wobei die Daten mit Zustimmung der Kunden direkt bei den medizinischen Dienstleistern eingeholt würden. Die Grenzen der Versicherbarkeit verschieben sich also.
Die neuen Technologien dürften aber noch weitergehenden Einsatz finden. So haben laut Swiss Re einige Lebensversicherer bereits Bonusprogramme eingeführt, bei denen Kunden eine Belohnung erhalten, falls sie etwa einen gesünderen Lebensstil mit mehr Bewegung führten, sich regelmässigen Vorsorgeuntersuchungen unterzögen oder mit dem Rauchen aufhörten.
Immer mehr Regeln
Die zweite grosse Entwicklung, welche die Lebensversicherungsbranche derzeit unter Zugzwang setzt, sind regulatorische Veränderungen. So müssten vor dem Hintergrund der Digitalisierung die Unternehmen stark auf die Anforderungen des Datenschutzes reagieren. Gerade die neuartigen medizinischen Informationen bei Lebensversicherern erzeugen vielfach bei den Unternehmen einen enormen Handlungsbedarf zum Schutz der Privatsphäre.
Kommt eine Police zudem über digitale Vertriebskanäle auf den Markt, hat die Branche laut Swiss Re künftig völlig neue Aufgaben zu bewältigen – wie etwa die Dokumentation des Beratungsgespräches mit den Kunden.
Auch die Regulierungsbehörden stehen vor neuen Situationen, etwa wenn Kunden im digitalen Antrag irgendwelche Kontrollkästchen versehentlich anklickten und somit bei digitalen Transaktionen in Echtzeit ungewollte Verträge abschliessen.
Der Lebensversicherungsbranche steht ohnehin ein grosser Wandel bei der Regulierung bevor, denn zahlreiche Vorschriften zur Solvabilität einer Gesellschaft ändern sich künftig. Daher haben zahlreiche Anbieter, wie etwa die Baloise-Gruppe auf dem deutschen Markt beschlossen, sich aus dem Lebensversicherungsgeschäft zurückzuziehen.