Bei der Beurteilung von Raserdelikten erhalten Richter neu etwas Spielraum – vor allem für Fahrer, die nicht vorsätzlich gerast sind. Dies hat das Bundesgericht entschieden. Es ändert damit seine bisherige Rechtsprechung.
Auch in Zukunft müssen Gerichte grundsätzlich davon ausgehen, dass ein Fahrzeuglenker vorsätzlich handelt, wenn er die Höchstgeschwindigkeit derart überschreitet, dass der Rasertatbestand erfüllt ist. Bei einem Tempolimite von 50 Kilometern pro Stunde ist dies der Fall, wenn eine Person mindestens doppelt so schnell fährt.
Weil es jedoch Fälle geben kann, in denen zwar Rasen als Tatbestand vorliegt, der Fahrzeuglenker aber nicht mit Vorsatz handelte, sollen Richter einen beschränkten Beurteilungsspielraum erhalten. Dies hat das Bundesgericht in einem am Mittwoch publizierten Urteil festgehalten.
Die Tatbestände wurden im Rahmen des Strassensicherheitsprogramms Via sicura eingeführt. Sie sind seit dem 1. Januar 2013 in Kraft.
Wird die zulässige Höchstgeschwindigkeit um ein bestimmtes Mass überschritten, liegt gemäss den neuen Regelungen eine als Verbrechen strafbare qualifizierte grobe Verletzung der Verkehrsregeln vor.
Die Täter sind zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr zu verurteilen. Der Führerausweisentzug beträgt mindestens zwei Jahre.
Im aktuell beurteilten Fall führt die neue Rechtsprechung nicht zu einer milderen Strafe. Der betroffene Autolenker hatte im Kanton Genf die Höchstgeschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde um mehr als das Doppelte überschritten. Die bedingte Freiheitsstrafe von einem Jahr haben die Lausanner Richter bestätigt.
Politische Vorstösse
Was sie den Gerichten neu gewähren, ist ganz auf der Linie des Nationalrats. Er hat im vergangenen Dezember einer parlamentarischen Initiative des Tessiner CVP-Nationalrats Fabio Regazzi zugestimmt. Diese will Richtern bei der Strafzumessung bei Raserdelikten wieder mehr Spielraum geben.
Der Ständerat will die Strafnormen aber nicht schon wieder ändern. Er sprach sich mit 20 zu 15 Stimmen bei 5 Enthaltungen gegen Regazzis Initiative aus. Stattdessen beauftragt er den Bundesrat mit einem Postulat, die Wirksamkeit des Massnahmenpakets Via sicura insgesamt zu überprüfen.
Eine Westschweizer Vereinigung hat im Mai ausserdem eine Volksinitiative («Stopp den Auswüchsen von Via sicura») gegen die Sanktionen für Raser lanciert.
Schwere Raserdelikte sollen gemäss dem Initiativkomitee weiterhin hart bestraft werden. Es soll jedoch die Verhältnismässigkeit wieder hergestellt werden. (Urteil 6B_165/2015 vom 01.06.2016)