Roald Dahl ist einer der bekanntesten Kinderbuchautoren des vergangenen Jahrhunderts. Der Mann konnte auch anders: Seine Kurzgeschichten für Erwachsene verströmen noch immer makabre Schauer. Am 13. September wäre der britische Autor 100 Jahre alt geworden.
Hexen, die alle Kinder in Mäuse verwandeln wollen. Eltern, die von einem Nilpferd gefressen werden. Eine sadistische Schulleiterin (und ehemalige Hammerwerferin), die ihre Zöglinge an ihren Zöpfen herumschleudert.
Idyllisch geht es in den Märchengeschichten von Roald Dahl nicht zu und her – und wahrscheinlich ist der britische Autor mit norwegischen Wurzeln gerade deshalb zu einem der berühmtesten Autoren von Kindergeschichten des 20. Jahrhunderts geworden: Wie bei den Märchenklassikern der Brüder Grimm lauern Tod und Tücke überall, und makabrer Schrecken droht den unschuldigen Geschöpfen.
Allerdings – bei Dahl geht es weniger um pädagogische Erziehungsversuche als um die Bewahrung eines «kindlichen» Vorstellungsraums, in dem die Halbwüchsigen – ob nun Kinder oder wie in der Fabel von Mr. Fox Tiere – der oftmals erbarmungslosen Erwachsenenwelt ein Schnippchen schlagen. «Those who don’t believe in magic will never find it», hat der Autor in «The Minpins», einer seiner späten Geschichten, festgehalten.
Doch der hintersinnige Schalk von Dahl und das oftmals surreale Setting seiner Geschichten haben sofort auch Erwachsene begeistert, und die Märchenaufbereitungsmaschine Kino hat das Ihrige zum Ruhm Dahls beigetragen: Besonders die Verfilmungen von Tim Burton («Charlie und die Schokoladenfabrik» und «James und der Riesenpfirsich»), selbst ein Meister der surrealen Erzählung, haben Dahls Geschichten visuell mit der angemessenen Überdrehung umgesetzt.
Dass Dahl einen Spleen für das Makabre besass, kann man bereits in einer seiner frühsten Publikationen feststellen: «Küsschen Küsschen», erschienen 1960 in der Originalausgabe, vereint elf Kurzgeschichten, die vor schwarzem Humor und morbider Fabulierlust nur so strotzen. Da ist das Waisenkind Lexington, das vegetarisch erzogen wird, dank einer Erbschaft sich jedoch auf den Fleischgenuss stürzt – und von kannibalischen Metzgern geschlachtet wird. Oder der Philosoph William, dessen Hirn und Auge nach seinem Krebstod an ein künstliches Herz angeschlossen werden, um weiterzuleben – und dem seine verhärmte Frau alle Schikanen, die er ihr zeitlebens auferlegt hat, heimzahlt. Oder der Horror des jungen Billy Weaver, der in die Herberge einer alten Wirtsfrau eincheckt und dem Wahnglauben verfällt, dass die Wirtin alle ihre Gäste auszustopfen pflegt.
Bösartigkeiten braver Bürger
Der Horror in Dahls Geschichten kennt keine Übersinnlichkeit, keine Rückkehr der Toten wie in den Klassikern der britischen Gothic Novel, sondern entspringt mitten aus der bürgerlichen Nachkriegsgesellschaft der Fünfzigerjahre. Es sind in der Regel brave Bürger, in denen die kleinen und grossen Bösartigkeiten lauern – manchmal nur als Bigotterie einer in Routine erstarrten Ehe wie der Bixbys, die sich mit allen Raffinessen gegenseitig betrügen.
In der Regel aber kriechen die unterdrückten Traumata des grossen Mordens im Krieg hinein in die seelische Leere, nagen am Glauben an Recht und Ordnung – und schliesslich am Verstand. Wie in der Geschichte jenes Ehepaars, das eine herrenlose Katze findet. Die Frau versteigt sich in die Überzeugung, es handle sich um die Reinkarnation des Komponisten Liszt und will einen Musikerkongress dafür einberufen – der Mann wirft das Tier aus Scham und Eifersucht kurzerhand ins Feuer.
Der menschliche Hang zur Niedertracht
Die rätselhafteste Passage ist schliesslich die Erzählung der armen Klara Hitler, Mutter des deutschen Massenmörders, die alle ihre Kinder an den frühen Kindstod verliert und insgeheim ihren herrischen Gatten Alois dafür verantwortlich macht, der mit keiner Statur der schwächlichen Neugeborenen zufrieden ist. Nur beim kleinen Adolf erbarmt er sich.
«Genesis and Catastrophe» nannte Dahl diese Geschichte über die Geburt des späteren Diktators. Verwurzelt der Autor hier den menschlichen Hang zur Niedertracht salopp psychologisch in die frühste Kindheit, oder will er mahnen, dass selbst aus den fragilsten Geburten die grössten Bosheiten wachsen können? Dahl, der in späteren Jahren selbst um grobe antijüdische Ressentiments nicht verlegen war («Selbst ein Stinker wie Hitler hat nicht grundlos auf sie eingedroschen», sagte er in den Achtzigerjahren in einem Interview), lässt die Deutung offen – und damit die Einsicht zurück, dass der Mensch seine gewaltigsten Taten aus finstersten Quellen schöpft. Im Leben wie im Schreiben.