Es geht in diesem Spiel noch nicht um die ganz grosse Weihe in Wimbledon. Aber ein sporthistorisches Ereignis für den Schweizer Tennissport ist dieses Viertelfinale zwischen den beiden Freunden Roger Federer und Stan Wawrinka allemal.
Am Ende dieses historischen Tages musste sich Roger Federer selber nochmals dazu ermahnen, im allgemeinen Grand-Slam-Terminstress die Aussergewöhnlichkeit des Moments «wenigstens ein bisschen zu geniessen»: «So oft wird es nicht vorkommen, dass Schweizer in einem Viertelfinale stehen. Und dann auch noch gegeneinander», sagte der Maestro, der in über einem Jahrzehnt schon vieles erlebt hat, viele triumphale, manche enttäuschenden Geschehnisse, aber auch noch nie dies. Den Kampf um einen Platz in der Runde der letzten Acht gegen einen Landsmann, gegen einen Freund.
Gegen Stan Wawrinka, einen Mann, über den er unlängst noch sagte: «Wenn ich ein Turnier nicht selbst gewinnen kann, dann soll Stan es gewinnen.» Doch nun will und muss er ihn schlagen, um seine Verabredung mit der Geschichte nicht platzen zu lassen, den Ansturm auf den Gipfel, die Mission eines achten Wimbledon-Sieges.
Kleiner Schweizer Triumph in London
Welch ein neuerlicher Erfolg war es aber zunächst einmal für das Schweizer Tennis an diesem Dienstag, an diesem 1. Juli des Jahres 2014 – mit dem Einzug von Rasenmeister Federer und «Stanimal» Wawrinka in das Viertelfinale und der gegenseitigen Verabredung. Wie schon bei den Australian Open, als sie beide gemeinsam ins Halbfinale einzogen und für ein absolutes Novum sorgten, schreiben sie nun auch bei den Offenen Englischen Meisterschaften die grossen Schlagzeilen: «Das ist einfach ein grosser Tag für das Tennis bei uns», sagte Federer, der seine Partie gegen den Spanier Tommy Robredo mit spielerischer Leichtigkeit 6:1, 6:4 und 6:4 gewann und dabei wieder einmal bei diesem laufenden Grand-Slam-Spektakel ziemlich genau so lange auf dem Court stand, wie ein Fussballmatch dauert: 96 Minuten.
Wawrinka war da erheblich mehr gefordert gewesen gegen den guten Grasplatzspieler Feliciano Lopez, aber er bewahrte bei seinem hartumkämpften 7:6 (7:5), 7:6 (9:7), 6:3-Sieg vor allem in den kritischen Situationen einen kühlen Kopf. Zwei gewonnene Tiebreaks illustrierten die mentale Festigkeit des Romands am eindrucksvollsten, der sich aufs Duell mit Federer freut: «Rasen ist sein Belag, sein Territorium. Aber ich gehe nach diesen Siegen hier mit viel Selbstbewusstsein ins Match. Und ich freue mich, dass ich nun bei jedem der Grand Slams mindestens das Viertelfinale erreicht habe.»
Final in Gänsehaut-Atmosphäre
Federer erinnerte später an schon einige geschichtsträchtige Augenblicke in dieser speziellen eidgenössischen Tennis-Saison, allem voran an den Final in Monte Carlo, in dem sie auch beide aufeinandertrafen – er, der Altmeister., und Wawrinka, der vier Jahre jüngere Herausforderer, der damals auf dem sandigen Untergrund des Country Clubs siegte. «Es ist schon bewegend gewesen, dieses Endspiel. Eine Gänsehaut-Atmosphäre. Und ich vermute, dass es in Wimbledon auch ein grosses Erlebnis für uns beide sein wird», sagt Federer. «Ich denke, der Belag hilft mir, gibt mir Zuversicht. Aber Stan hat grossen Respekt verdient für das, was er hier gezeigt hat.»
Wawrinkas Abschneiden, so der fürsorgliche Federer, zeige auch, dass die Polemik der letzten Zeit gegen ihn töricht gewesen sei: «Er beweist hier, dass er in die Weltspitze gehört. Dass er überall gutes Tennis spielen kann.» Nun werde es «sicher auch komischer als gegen andere» werden, das Duell mit dem Freund, der Kampf um den Halbfinalplatz: «Aber ein Schweizer steht in jedem Fall am Freitag auf dem Court, das ist doch schon mal gut.»
Erstes Duell auf Rasen
Wenn sie denn an diesem Mittwoch im letzten Spiel auf dem Centre Court aufeinandertreffen, dann betreten Federer und Wawrinka auch Neuland in der Historie ihrer persönlichen Vergleiche. Denn zwar standen sie sich schon 15-mal auf ihren Expeditionen durch die Tenniswelt Auge in Auge gegenüber, doch noch niemals auf einem Tennisgrün. Nicht in Wimbledon, nicht anderswo. 13-mal hat Federer auf Hartplätzen oder Sand gesiegt, Wawrinka konnte das eigene Tennisidol nur zwei Mal besiegen, dabei auch in jenem rund zwei Monate zurückliegenden Duell in Monte Carlo.
«Das Viertelfinale ist der Moment, wo das Turnier wirklich beginnt. Ich fühle mich gut, mein Spiel ist da», sagt Federer, der siebenmalige Wimbledon-Champion, der bisher noch kein Aufschlagspiel im Turnier abgegeben hat. Doch nervenstark ist auch sein Gegner in diesem ganz speziellen Tennis-Fall für Zwei, Stanislas Wawrinka, der Freund: «Es ist immer besonders, dieses Match gegen Roger. Aber ich gehe es ganz professionell an. Auf dem Platz kämpft jeder für sich.»