Brasilien steuert nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahl auf einen Stichentscheid zu. Staatschefin Dilma Rousseff von der links-zentristischen Arbeiterpartei PT verpasste am Sonntag absolute Mehrheit.
Es ist keine Überraschung, dass Dilma Rousseff in die Stichwahl muss. Schon eher aber, wer ihr dort gegenübersteht. Die amtierende Staatschefin trifft am 26. Oktober auf Aécio Neves von der eher mitte-rechts stehenden Sozialdemokratischen Partei.
Nach Auszählung von über 98 Prozent der Stimmen, sicherte sich Rousseff am Sonntag mit 41,4 Prozent zwar den ersten Platz. Der eigentliche Gewinner des Wahlsonntags war aber Neves. Der frühere Gouverneur und Senator kam auf überraschend starke 33,8 Prozent.
Als Verliererin ging die ehemalige Umweltministerin Marina Silva aus der Wahl hervor, die zwar auf 21,3 Prozent der Stimmen erzielte, ihr Ziel, in die Stichwahl zu kommen, aber klar verfehlte. Dem 54-jährigen Neves war es erst in den vergangenen Tagen gelungen, Silva in den Umfragen zu überholen.
Der Regierungsgegner verspricht «sanften Wandel»
Vor seiner Aufholjagd lag er wochenlang auf Platz drei. Er hatte sich als strikter Gegner der Regierung und der Arbeiterpartei von Rousseff und deren Amtsvorgänger Luiz Inácio Lula da Silva präsentiert und versprach im Wahlkampf einen «sanften Wandel». Zudem verwies er auf seine zwei erfolgreichen Amtszeiten als Gouverneur.
Der Wahlkampf in Brasilien war so kontrovers wie seit vielen Jahren nicht. Noch im Sommer hatte es Massendemonstrationen gegen Rousseff gegeben. In den Metropolen wie Sao Paulo oder Rio de Janeiro protestierten Zehntausende gegen eine stagnierende Wirtschaft, Korruption und ungenügende staatliche Einrichtungen. Auch die Ausrichtung der Fussball-WM hatte Rousseff zunächst nicht zu einem Popularitätsschub verholfen.
Die Klagen der Investoren
Die Präsidentin hatte ihre Kampagne unter dem Slogan geführt: «Mehr Wandel, mehr Zukunft». Ein neues Kabinett hat sie bereits angekündigt. Allerdings ist es für Rousseff nicht leicht, den Status quo zu kritisieren, da ihre Arbeiterpartei seit zwölf Jahren das Staatsoberhaupt stellt.
Rousseff hat auch die Wirtschaft gegen sich. Investoren beklagen sich heftig über Massnahmen, die den Einfluss von Minderheiten unter den Aktionären halbstaatlicher Firmen beschnitten. Zudem stiess bei Investoren schlecht auf, dass Rousseff mit Anreizen die Konjunktur ankurbeln wollte, anstatt auf strukturelle Reformen zu setzen.
Sollte die seit 1. Januar 2011 regierende Rousseff am 26. Oktober als Siegerin aus der Stichwahl hervorgehen, wäre ihre Arbeiterpartei am Ende ihres zweiten Mandats im Jahr 2018 rund 16 Jahre an der Macht. Ihr Mentor und Parteigenosse Lula da Silva hatte von 2003 bis 2010 regiert.
Rousseff bleibt Favoritin
Rousseffs Herausforderer Neves ist der Enkel des ersten gewählten Präsidenten Brasiliens nach der Militärdiktatur, Tancredo Neves, der aber 1985 kurz vor Amtsantritt starb. Aécio Neves ist vor allem durch seine Amtszeit als Gouverneur des wirtschaftsstarken Bundesstaates Minas Gerais bekannt, wo er von 2003 bis März 2010 regierte und mit Zustimmungswerten von über 90 Prozent aus dem Amt schied.
Neves kann in der Stichwahl mit der Rückendeckung der Sozialdemokraten rechnen, die in ganz Brasilien gut aufgestellt sind. Allerdings sehen die meisten Experten Rousseff klar in der Favoritenrolle.