Mit brillanter Stimme und makellosem Auftritt brachte es Whitney Houston in den 80er-Jahren zu Weltruhm. Höhepunkt ihrer Karriere waren Soundtrack und Hauptrolle im Film «Bodyguard». Einen Schutzengel hätte sie auch im realen Leben gebraucht: Die US-Sängerin (48) ist in einem Hotel in Beverly Hills tot aufgefunden worden.
Wenn heute Nacht die weltweit gewichtigsten Musikpreise, die Grammys, verliehen werden, dann steht eines fest: Die Gäste werden nicht wirklich in Feierlaune sein, wird doch der Anlass überschattet von der Tatsache, dass mit Whitney Houston eine von ihnen gestorben ist: Ein Weltstar, eine grosse Stimme mit einem eindringlichen Vibrato. Für ihren stilsicheren Gesang wurde sie von Branchenkollegen und Fans geliebt. Über 170 Millionen Tonträger hatte sie zu Lebzeiten verkauft, zahlreiche Trophäen, darunter auch mehrere Grammys, entgegengenommen.
Woran sie genau gestorben ist, scheint derzeit unklar. Offenbar wollte sie am Samstag mit ihrer Cousine Dionne Warwick an einer Party im Vorfeld der Grammys teilnehmen. Doch am Nachmittag um 15.55 Uhr Ortszeit wurde die 48-jährige US-Amerikanerin im Beverly Hilton Hotel tot aufgefunden – gemäss amerikanischen Medien von ihrem Bodyguard. Wie ironisch, ja, wie zynisch ist das denn? Im Film «The Bodyguard» (1992) rettete ihr ein solcher (gespielt von Kevin Costner) noch das Leben.
Quincy, Gloria, Dolly, Serena: Grosse Bestürzung
In Windeseile hat sich in den letzten Stunden die Nachricht ihres Todes verbreitet. Zahlreiche Stars, viele von ihnen hielten sich ebenfalls an Empfängen der Musikbranche in Los Angeles auf, reagierten bestürzt, so etwa Sängerin Gloria Estefan: «Wir haben eine immens talentierte Unterhalterin verloren!» Produzent Quincy Jones verkündet, es breche ihm das Herz, das gleiche teilt Country-Musikerin Dolly Parton mit, die den Hit «I Will Always Love You» ursprünglich geschrieben und interpretiert hatte: «Ich werde ihr immer dankbar sein und voller Ehrfurcht für ihre wunderbare Performance meines Lieds. Dafür kann ich wirklich von tiefstem Herzen sagen: I will always love you.»
Tennis-As Serena Williams twitterte: «One Moment in Time hat mich zu vielen meiner Grand-Slam-Siege angetrieben.» Rap Star P. Diddy gab nur einen kurzen Satz preis: «I am so sick.»
Ein halbes Jahr nach dem Tod von Amy Winehouse verliert die Popmusik also eine weitere markante Frauenstimme. Und wie bei Amy Winehouse überrascht dieses Verstummen nicht. Whitney Houston, Ende der 80er-Jahre zur erfolgreichsten afroamerikanischen Sängerin aufgestiegen, sorgte in den letzten 15 Jahren mehrheitlich für negative Schlagzeilen. Offensichtlich suchtkrank, kämpfte sie gegen ihre Alkohol- und Drogenprobleme an.
«I Look To You»: Misslungenes Comeback
Als sie 2009 ein Bühnencomeback wagte, wurde sie beim Tourstart in Moskau streckenweise ausgebuht: Ihre gesanglichen Leistungen blieben weit hinter den Erwartungen zurück, immer wieder brach sie in Tränen aus, als trauere sie selbst ihren grossen Tagen hinterher. Da half es auch nicht, dass sie ihren Fans und Gott dafür dankte, dass sie nach schwierigen Jahren wieder zurück in die Stadien gefunden hatte. Auch ihr Konzert in der Schweiz, im Mai 2010 im Zürcher Hallenstadion, irritierte Anhänger wie auch Kritiker. Markus Ganz schrieb in seiner Rezension in der «NZZ» schon im ersten Satz, dass der Anblick «mitleiderregend» war und das Publikum «eine gesangliche Zitterpartie» erlebte. Nein, ein triumphales Comeback war das nicht. Dabei hatte Houston doch jahrelang mit ihrem makellosen Äusseren und ihrer oktavenreichen, intonationssicheren Stimme brilliert.
Emily, Dionne, Aretha: Musikalische Familie
Die Musik wurde ihr in die Wiege gelegt: Ihre Mutter Emily Drinkard sang in einer Gospelgruppe, ihre Cousine Dionne Warwick verfolgte eine erfolgreiche Karriere. Mit elf Jahren sang auch die streng religiös erzogene Whitney erstmals vor Publikum – in einer Kirche. «Ich hatte ständigen Kontakt zu Stars wie Aretha Franklin, Gladys Knight, Dionne Warwick und Roberta Flack. Ich hörte ihnen zu und lernte von ihnen. Sie hatten auf meine Karriere als Sängerin einen unglaublichen Einfluss, weil ich mich vom ersten Augenblick an mit ihrer Musik identifizierte», erklärte sie später.
«Saving All My Love For You»: Rasanter Aufstieg
Whitney Houston war gerade mal 20 Jahre jung, als sie nach einigen Modeljobs auch als Sängerin entdeckt und von der Plattenfirma Arista unter Vertrag genommen wurde. 1984 erschien ihr Debütalbum, das mit dem Stück «Saving All My Love For You» einen ersten Hit enthielt. Mit ihrer glasklaren Soulstimme setzte sie sich fortan in den Hitlisten fest, sei es mit der Olympia-Hymne «One Moment In Time» oder mit ihrem Cover der Dolly-Parton-Ballade «I Will Always Love You» – aufgrund seines technischen Schwierigkeitsgrads bis heute ein Massstab in Castingshows.
«Bodyguard»: Der Karriere-Höhepunkt
«I Will Always Love You» sang Houston für den Soundtrack zum Film «The Bodyguard», worin sie eine erfolgreiche Gesangsdiva spielte (also sich selber), die von einem Stalker bedroht und von Kevin Costner beschützt wurde. Film und Soundtrack wurden 1992 zu Millionenerfolgen und markierten den Höhepunkt ihrer Karriere. Im gleichen Jahr heiratete sie den Rapper Bobby Brown. Nach anfänglichem Glück und der Geburt einer Tochter mehrten sich die Meldungen, dass die Ehe ordentlich durchgeschüttelt würde – und mit ihr Whitney Houston. Von Depressionen und Suchtproblemen war die Rede, sie sei abhängig von Crack, von Alkohol, Marijuana. Was immer es genau war: Es war der Anfang von ihrem bitteren Ende.
Denn trotz Entziehungskuren schien sie ihre Probleme nie ganz überwinden zu können. Dabei hatte sie doch noch zu Beginn ihrer Karriere selbstbewusst gesungen:
«The greatest love of all is happening to me
I found the greatest love of all inside of me»
(aus «The Greatest Love Of All», ihrer Coverversion der Ballade von George Benson).
Zu dieser inneren Liebe, diesem inneren Frieden schien sie nie mehr richtig zurückgefunden zu haben. Zwar zog sie sich weit stärker aus der Öffentlichkeit zurück als Amy Winehouse, dennoch wurde sie von Paparazzi in unvorteilhaften Situationen fotografiert und gefilmt: Die Frau befand sich offensichtlich immer wieder in desolatem, labilen Zustand. Und wie bei Amy Winehouse ist es eine Tragödie, dass so viele von ihr profitierten – ihr aber scheinbar niemand helfen konnte, einen Ausweg aus ihrer selbstdestruktiven Situation zu finden.
Nach dem Flop ihres Bühnencomebacks 2009/10, hatte die Sängerin in diesem Jahr vor, wieder im Filmgeschäft Fuss zu fassen. Sie hätte im Remake von «Sparkle» mitwirken sollen, einem Film, der lose auf der Geschichte des Soulpop-Trios The Supremes (mit Diana Ross) basiert. Es wäre Houstons erste Rolle gewesen seit «The Preacher’s Wife» (1996). Nun hat sie «The Preacher’s Boss» zu sich geholt.