Die Anarcho-Version von GTA unterhält bestens mit einem abgedrehten Setting und einer Unzahl von Popkultur-Referenzen.
Obwohl das allgegenwärtige GTA heute loslegen darf, macht der «kleine» anarchistische Bruder «Saints Row» noch mal richtig Dampf. Ursprünglich lief Saint’s Row ja unter der Rubrik «ripoff» und demzufolge als miese, billige Kopie. Mit jedem weiteren Teil wurden die Spiele aber chaotischer und anarchistischer. Der schwarze Humor nahm schon bald einen zentralen Stellenwert ein. Mit Teil 4 ist die Reihe nun endgültig aus dem Schatten von GTA getreten.
Die Story von SAINTS ROW IV liest sich wie ein Drogentrip eines schlechten Hollywood-Regisseurs: Die titelgebende Saints Gang rettet in einer halsbrecherischen Mission die westliche Welt. Zum Dank wird die Anführerin (in meinem Fall- man darf aber das Geschlecht selbst wählen) zur Präsidentin befördert.
Im neuen Hauptquartier (das White House heisst neu White Crib) machen es sich die Saints schnell gemütlich: Pokerrunden, Striptänzerinnen und Bars prägen das neue Dekor. Doch richtig geniessen können sie die Amtsführung nicht: Aliens greifen die Welt an und entführen die ganze Bande. In ihrem Raumschiff schliessen sie die irdischen Geiseln an einen Computer an, der ein Matrix-ähnliches Erlebnis suggeriert.
Nun liegt es an der Präsidentin, zunächst der computergenerierten Scheinwelt zu entfliehen. Ist das erledigt, tut man sich mit dem Rest der Gang zusammen und versohlt den Aliens rund um Ober-Bösewicht Zinyak endgültig den Hintern…
Zugegeben, SAINTS ROW IV ist primitiv. Es ist aber gleichzeitig auch eine der witzigsten Sammlungen von Popkultur-Referenzen der letzten Jahre. Ein paar Beispiele gefällig? Apocalypse Now, The West Wing, Space Invaders, The Truman Show, Metal Gear Solid und viele, viele mehr. All diese Referenzen zu entdecken, macht riesig Spass und ist schon fast den Kaufpreis wert.
Das Spiel selbst läuft ab wie GTA auf Steroiden. Der grösste Teil von SAINTS ROW IV spielt wie erwähnt in der Dominatrix-Welt (das wäre dann noch die Matrix Referenz). Dort kann die Spielfigur schon bald übermenschliche Fähigkeiten erwerben: Meterhohe Sprünge, telekinetische Fähigkeiten oder gar Feuerbälle werfen – alles kein Problem.
Diese Elemente kennen Gamer zwar schon aus Spielen wie Crackdown oder inFamous. Nichtsdestotrotz macht es grossen Spass, unbeschadet von einem Wolkenkratzer herunter zu springen und bei der Landung eine Druckwelle zu verursachen, die gleich Dutzende von Gegnern wegsprengt. Dies ist ja auch die Essenz von Sandkastenspielen: Das zu tun, was in der richtigen Welt nicht möglich ist. Gott, einer virtuellen Welt zu sein. Und SAINTS ROW IV macht das hervorragend.
Etwas weniger prima ist hingegen die Technik des Spiels. Die Grafik scheint bei Saints Row the Third stehen geblieben zu sein (und selbst die ist schlechter als die des 2008 erschienenen GTA IV). Die Texturen sind matschig, die Landschaften karg – einzig die Animationen vermögen zu überzeugen. Die Sprecher machen ihre Sache gut – insbesondere Alien-Anführer Zinyak hat mit J.B. Blanc einen prima Sprecher gefunden. Auch die Musik weiss zu gefallen: Wenn während der Flucht aus einem feindlichen Raumschiff plötzlich Haddaway mit «What is Love» ertönt, kann sich wohl kaum jemand mehr das Lachen verkneifen.
Für einmal verzichten die Macher auf einen elaborierten Multiplayer-Modus. Immerhin kann das Spiel kooperativ zu zweit gespielt werden. Mich hat das nicht wirklich gestört – zu zweit kann man auch ganz schön Unfug anstellen und es gilt: besser keinen Multiplayer als einen schlechten, uninspirierten.
Überhaupt: Die schlechte Grafik interessiert einen nach einer Stunde spielen überhaupt nicht mehr. SAINTS ROW IV ist lustig und politisch höchst unkorrekt. Es ist bei weitem nicht perfekt. Aber es unterhält bestens.
PS: Wem all die Argumente noch nicht genügen: Ein Spiel, bei dem Neil Patrick Harris eine Sprechrolle übernimmt, kann ja eigentlich gar kein schlechtes Spiel sein.
Spieltrieb-Faktor: 8 von 10
Titel: Saints Row IV
Plattform: PS3 (getestet), XBOX360
Spieler: 1-2
PEGI: Ab 18 Jahren
Preis: ca. 79 Franken
Das Cover