Marc Lüthi spricht im SDA-Interview über Berns imponierende Entwicklung vom Sanierungsfall zur florierendsten Hockey-Organisation der Schweiz. Der CEO thematisiert auch den neuen TV-Deal der NLA.
Kein NLA-Klub verdient mehr Geld und generiert ein höheres öffentliches Interesse als Lüthis SCB-Maschinerie. Im ausführlichen Gespräch äussert sich der Top-Manager auch deutlich zu einem möglichen Lohnkostenanstieg. Und er meldet Berns Interesse an, falls die NHL einst ernsthafte Europa-Pläne hegen sollte.
Der SCB und Marc Lüthi – eine unendliche Verbindung?
«Zu Beginn hatte ich einen Satz immer griffbereit: ‚Wenn wir mal Meister werden, höre ich auf.‘ Dann war die 20-Millionen-Marke beim Umsatz der nächste Moment, um über den Rückzug nachzudenken, dann knackten wir die 50er-Grenze. Mittlerweile bin ich einfach da. Die Arbeit für den SCB ist in irgendeiner Weise eine Lebensaufgabe geworden – eine unternehmerisch spannende, die sich immer wieder verändert. Langweilig wird es hier wohl nie.»
Der SCB ohne CEO Marc Lüthi – ein völlig undenkbares Szenario?
«Wieso denn? Selbstverständlich ist das denkbar, genauso wie eine Schweiz ohne Bundesräte vorstellbar wäre. Keiner ist unersetzlich, bei Nestlé nicht, beim SCB schon gar nicht.»
Wann würden Sie denn überhaupt ernsthaft in Erwägung ziehen, die populärste Hockey-Organisation der Schweiz zu verlassen?
«Ganz ohne SCB? Ob das in diesem Leben überhaupt möglich sein wird, weiss ich ehrlich gesagt nicht. Eines Tages gebe ich die operative Führung ab – aber nicht heute und nicht morgen. Es gibt einen Zeithorizont, den ich mir gesetzt habe. Ob bis dann der richtige Nachfolger bereit ist, werden wir sehen.»
Viele Elemente der Berner Erfolgsgeschichte sind eng mit Ihrem Namen verknüpft.
«Vor allem der Fast-Konkurs vor 18 Jahren, als wir die Führung übernommen haben, ist prägend gewesen. In der damals heiklen Phase legten wir fest, dass nur einer redet, wenn es um das Gesamtunternehmen geht – ich. In guten und vor allem in schlechten Zeiten strecke ich meinen Kopf aus dem Fenster. Von einer One-Man-Show kann trotzdem keine Rede sein. Der übrige Teil der Leitung hält sich einfach bewusst im Hintergrund. Präsident Walter Born beispielsweise verspürt keinen öffentlichen Geltungsdrang. Aber sein Einfluss ist extrem wichtig für die Gruppe und für mich. Ohne ihn und die anderen Verwaltungsratskollegen stünden wir nicht da, wo wir jetzt sind.»
Aber der Klub ist doch vor allem Ihre Herzensangelegenheit?
«Klar steckt im sportlichen Bereich eine Menge Herzblut drin. Nur müssen wir neben dem Eis mit Verstand und nach wirtschaftlichen Vorgaben handeln – so wie im Übrigen jedes andere normale Unternehmen auch. Und ja, manchmal komme ich mir vor wie ein kleiner Wanderprediger, weil wir von der Öffentlichkeit leben, von den Konsumenten im Stadion, von den Sponsoren.»
Sie haben gut gepredigt – den ehemaligen Sanierungsfall entwickelten Sie zum florierenden Geschäftsmodell. Das Kontrastprogramm seit 1998 ist beeindruckend.
«Ich habe tonnenweise Veränderungen miterlebt. Nur ein kleines Beispiel: Früher legten wir im Sicherheitswesen 50’000 Franken aus, inzwischen kostet uns diese Sparte eine Kiste (Million). Der Umsatz ist von 8,5 Millionen Franken auf rund 56 Millionen gestiegen.»
Welche Eigenschaften sind von Vorteil, um einen solchen Wandel ohne persönlichen Substanzverlust orchestrieren zu können?
«Man sollte sich selber vielleicht nicht immer allzu ernst nehmen. Eine Prise Selbstironie ist manchmal nötig. Standfest zu sein, ist massgebend. Man kann sich in diesem Job nicht verstecken, man muss in die Offensive gehen. Die Gabe, gewisse Dinge zu relativieren, hilft. Wir machen Unterhaltung, die weitere Lebensexistenz steht nicht auf dem Spiel. Dessen sollte man sich bewusst sein.»
Die Wogen gehen gleichwohl sehr hoch, ab und an werden Grenzen überschritten.
«Ich bin weder der Hero noch der totale Versager von Bern. Ich tue einzig, was ich im Sinn des SCB für richtig halte, und dabei versuche ich, geerdet zu bleiben.»
Das horrende Tempo fordert aber Opfer. Sie selber haben auch schon betont, dass der digitale Wandel das Tagesgeschäft enorm beschleunige und schnellere Veränderungen provoziere. Sie sind nun aber wie der HCD-Trainer Arno Del Curto ein Saurier und widerlegen den allgemeinen Trend.
«Arno ist zwei Jahre länger im Amt (lacht). Der Gang mit der Zeit ist unabdingbar, neue Ideen sind unverzichtbar. Ich kann zum Beispiel Facebook persönlich ablehnen, aber für den SCB sind die sozialen Medien wichtig. Mitgehen, nie stehen bleiben, sich dauerhaft challengen lassen, nie das Gefühl haben, etwas geschaffen zu haben, das immer funktioniert.»
Sie haben einst die Cheerleader eingeführt.
«Als erster Klub, ja. Und wir haben sie wieder abgeschafft, weil sie mit dem Zeitgeist nicht mehr vereinbar waren. Heute muss man die Leute anders abholen. Unsere Fans wollen gut essen, trinken und socializen. Das gilt für die Stehrampe genauso wie für die Gäste in der VIP-Loge. Die einen treffen ihre Jugendkollegen, andernorts wird Business gemacht. Wir müssen alle Bedürfnisse der SCB-Zuschauer ernst nehmen und bereit sein, das Angebot zügig anzupassen.»
Weshalb ist Ihr Klub im Gastro-Geschäft den anderen NLA-Konkurrenten meilenweit voraus?
«Wir wussten vom ersten Tag an, dass wir uns nicht auf einen Mäzen würden stützen können, der am Ende alle offenen Rechnungen begleicht. Deshalb sind wir unternehmerisch aktiv geworden. Die Gastronomie war rasch einmal ein Thema, sie passt zu uns. Es ist ein Geben und Nehmen und sicherlich der beste Entscheid, um wirtschaftlich zu überleben. Im NLA-Geschäft stossen wir an die Grenzen – wir sind sowohl im Sponsoringbereich als auch im Ticketing bei einer Auslastung von 95 Prozent angelangt. Wachsen können und müssen wir hingegen im Gastro-Bereich.»
Basels Präsident Bernhard Heusler schwärmte von Ihrer Organisation, der SCB arbeite ausserhalb des Rinks vorbildlich. Das Lob des Fussball-Serienmeisters muss guttun?
«Ich tausche mich oft mit Bernhard aus. Wir sind wegen des Drumherums ein Vorbild, sein Klub ist für uns eine sportliche Orientierungshilfe. Den Baslern gelingt es, ihr Produkt permanent hoch oben zu halten – notabene mit ähnlich vielen Trainerwechseln wie bei uns (schmunzelt).»
Aber von einem Basler Status träumen Sie nicht?
«Sagen wir es so: Unsere Fans wurden uns in schwierigen Zeiten nicht untreu. Misserfolg ist ein Teil des Showgeschäfts, da werden enorme Emotionen freigesetzt. Und letztlich sind wir doch bis zu einem gewissen Grad auch Emotionendealer. Es braucht zwar mehr Erfolg als Scheitern, aber zwischendurch mal ein Misserfolg gehört auch zum Sport – damit sollte eigentlich jeder umgehen können.»
Wo soll sich der SCB Ihrer Meinung nach positionieren? Wie wird er tatsächlich im näheren Berner Umkreis wahrgenommen?
«Wir sind bewusst laut, die Leute müssen täglich von uns hören. Das ist nicht unbedingt typisch für die Region. Hier mögen es die Leute eher gesittet und ruhig. Der Berner parkiert seinen Porsche lieber in der Ferienhausgarage, von der niemand weiss, und fährt ein Mittelklasse-Auto. Nur knapp ein Fünftel unserer 13’0000 Saisonkartenbesitzer kommt aus der City, der Rest stammt aus der Agglo. In der Stadt sind wir gut akzeptiert – nicht geliebt, aber respektiert.»
Sie reden nicht selten Klartext, von Ruhe und Berner Gelassenheit ist bei Ihnen wenig zu spüren.
«Ich verstehe mich manchmal auch etwas als Botschafter der Fans. Es gibt schon Gründe für mein Handeln. Wenn mir etwas nicht passt an der Haltung unserer Spieler, dann äussere ich mich dazu gelegentlich auch mal in der Kabine deutlich dazu, dann muss ich einfach Dampf ablassen. Die da unten (zeigt auf die Eisfläche in der PostFinance-Arena) verdienen keine Hilfsarbeiterlöhne. Und vergessen wir eines nie: Der Sport ist unser Kernbusiness. Spielen wir gut, ist die Bratwurst lecker, das Bier mundet.»
Dehnen wir den Kreis noch etwas aus. Wie bewerten Sie die nationale Klubszene im gesamten Kontext?
«Wir sind nicht das A und O des Sports, aber im Allgemeinen wird auf Profi-Niveau gut zum Schweizer Eishockey geschaut. Wir bieten dem Publikum Unterhaltung. Der Wettbewerb ist gut und spannend, mindestens sechs bis sieben Klubs haben die Chance, Meister zu werden. »
Dank dem neuen TV-Vertrag fliessen ab 2017 pro Jahr über 30 Millionen ins Schweizer Eishockey – eine dreimal höhere Summe als bisher. Was passiert mit der markant grösseren Geldmenge? Explodieren die Löhne?
«Ich erwarte, dass der Grossteil in die Klubs fliesst. Die Nationalliga ist das Produkt der Vereine, der Verband hingegen ist nichts anderes als ein Dienstleistungsbetrieb. Es kommt gut, die Vernunft ist spürbar. Spätestens Ende Januar ist alles unter Dach und Fach. Und etwas ist jetzt bereits klar: Wir füllen damit sicher nicht die Taschen der Spieler. Das wäre unnötig, wir bezahlen unsere Angestellten gut, die benötigen jetzt nicht per se mehr. Zu einer Lohnexplosion wird es nicht kommen – weder beim SCB noch in Kloten und auch nicht beim ZSC. Die Deckung struktureller Defizite hat Priorität.»
Ist kein zähflüssiges Feilschen um die Geldtöpfe zu erwarten?
«Nein, das wird alles viel weniger heiss gegessen. Im Grundsatz ist alles aufgegleist. Alles läuft betriebswirtschaftlich korrekt ab. Verteilt wird am Ende nach dem Giesskannenprinzip. Der Letzte soll gleich viel erhalten wie die Nummer 1 der Liga, da unterscheiden wir uns von den Fussballern. Mit diesem System wird garantiert, dass eben sieben Meister werden können und nicht nur einer oder zwei.»
Die höheren Geldzuflüsse verderben also niemandem die Moral?
«Die Vernunft wird einkehren in den Klubs. Jeder ist letztlich an einem attraktiven Produkt interessiert. Auf dem Eis sind wir erbitterte Gegner, neben dem Feld müssen wir allerdings zusammenarbeiten. Die ganze Branche muss florieren, sie muss brummen und wachsen.»
Die Richtung bestimmen oft Sie und Ihr Kollege Peter Zahner von den ZSC Lions.
«Es braucht alle, wir können nicht 20-mal pro Saison gegen Zürich, Davos oder Lugano spielen. Peter ist eine ähnliche Figur wie ich. Wir sind beide keine Ja-Sager und sind natürlich bestrebt, unsere Ideen anzubringen und sie auch durchzusetzen. Manchmal muss man den Mund öffnen und klarstellen, wie man denkt. Ab und zu liegen wir auch falsch, das kann passieren.»
Apropos falsch: Was ging Ihnen letzte Saison im Zusammenhang mit der Beinahe-Pleite in Kloten durch den Kopf?
«Horror! Ohne Hans-Ueli Lehmann wäre Kloten vom Radar verschwunden. Das wäre die reinste Katastrophe gewesen. Um ein Haar wäre eine der traditionsreichsten Marken wohl für immer verschwunden.»
Jene kanadischen Investoren, die den Flyers über Nacht den Support entzogen, sind jetzt in Lausanne am Werk.
«Ich setze hinter ihr Engagement ein Fragezeichen. Lausanne ist vom Zuschaueraufkommen her das Bern der Westschweiz. Wenn die Ergebnisse stimmen, funktioniert der Betrieb. Aber der Klub muss vernünftig und sauber geführt werden. Die Geldgeber müssen jetzt den Nachweis erbringen, nachhaltig zu planen.»
Würden Sie eigentlich einen Verkauf des SCB partout ausschliessen?
«Möglich ist immer alles. Aber einen solchen Entscheid hätten ohnehin einzig unsere Besitzer zu fällen. In diesem Zusammenhang sind Alleingänge chancenlos.»
Und der Wechsel in eine supranationale Liga wie die KHL? Jokerit Helsinki stieg deshalb ja aus der finnischen Liga aus.
«Völlig undenkbar, auch wenn ich das sichtbare Produkt KHL eigentlich als gut einstufe. Jokerits Transfer hat andere Hintergründe, der Eigentümer ist Russe. Nicht mehr in der NLA zu spielen, wird für uns nie eine Option sein. Sollte die NHL aber mal den Entschluss fassen, eine Europa Division zu gründen, wollen wir dabei sein – mit allen Konsequenzen. Wir würden mit zwei Teams antreten, die NLA wäre dann unsere AHL.»