Die Geiselnahme in Sydney schockiert Australiens Bevölkerung. In die Trauer mischt sich Unverständnis, wie der vorbestrafte Täter unbehelligt auf freiem Fuss sein konnte.
Regierungschef Tony Abbott gedachte wie viele andere Australier an einer beim Tatort spontan entstandenen Gedenkstätte der beiden getöteten Geiseln und legte Blumen nieder. Abbott teilte die Empörung vieler Menschen in Australien und kritisierte den früheren Umgang der Behörden mit dem Täter Man Haron Monis.
«Wie konnte jemand, der solch eine lange und kontroverse Vorgeschichte hatte, nicht auf den entsprechenden Beobachtungslisten stehen, und wie konnte so jemand völlig frei in der Gesellschaft unterwegs sein?», fragte Abbott. Monis, einer den Behörden bekannter krimineller Extremist, sei «psychisch labil» gewesen.
Er habe eine «lange Vergangenheit» gewalttätiger krimineller Taten gehabt und sei «vernarrt» in Extremismus gewesen, sagte Abbott weiter. Während der Geiselnahme habe Monis versucht, seine Taten mit der «Symbolik des Todeskults» der Dschihadistengruppe Islamischer Staat (IS) zu untermauern.
Abbott lobte die Polizei für ihren Einsatz. Die Australier könnten angesichts der Reaktion der Einsatzkräfte beruhigt sein, sagte er.
Teheran hatte Australien gewarnt
Der Generalstaatsanwalt von New South Wales, Brad Hazzard, sagte, die Behörden prüften, wie der Mann «durch die Ritzen schlüpfen konnte». Als eine Reaktion auf die Geiselnahme sollen die Bestimmungen in Australien verschärft werden, unter denen Angeklagte gegen Kaution auf freiem Fuss bleiben, wie der Ministerpräsident des Bundesstaates New South Wales, Mike Baird, ankündigte.
Die Teheraner Polizei hatte nach eigenen Angaben Australien mehrmals vor dem ausgewanderten Geiselnehmer gewarnt. «Dieser Mann war ein Betrüger und hat sich bei seinem Asylantrag in Australien als politischer Dissident ausgegeben», sagte Irans Polizeichef Ismaeil Ahmadi Moghaddam laut Nachrichtenagentur ISNA.
Monis, der eigentlich Mohammed Hassan Manteghi hiess, hatte 1996 in Australien politisches Asyl erhalten. Zuletzt hatte er wegen sexueller Belästigung in mehr als 40 Fällen und Beihilfe zum Mord an seiner Ex-Frau unter Anklage gestanden, war aber gegen Kaution freigekommen.
Im vergangenen Jahr war er zudem erstmals mit einer radikalen Website gegen den US-Militäreinsatz in Irak und Afghanistan aufgefallen. Wegen Hass-Briefen an Familien australischer Soldaten, die in den zwei Ländern im Einsatz gewesen waren, wurde Monis zu 300 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt.
Er setzte sich auch in wallenden Gewändern als selbst ernannter «Scheich Haron», Heiler mit magischen Kräften, in Szene.
Mutiges Einschreiten mit dem Leben bezahlt
Der Geiselnehmer hatte in einem Lindt-Café am Martin Place in Sydney 17 Geiseln genommen, von denen einige später fliehen konnten. Er soll nach einer IS-Flagge verlangt haben, zudem mussten die Geiseln eine islamische Fahne an ein Fenster halten. In der Nacht stürmte die Polizei nach über 16 Stunden das Café.
Der Geiselnehmer und zwei weitere Menschen wurden getötet. Es handelte sich um eine 38-jährige Mutter von drei Kindern und Rechtsanwältin, die eine Schwangere schützen wollte, und um den 34-jährigen Manager des Lindt-Cafés, der versuchte, dem Geiselnehmer die Waffe zu entreissen.
Sechs weitere Menschen wurden verletzt. Unter den Opfern waren nach Abklärungen des EDA keine Schweizer Bürger.
Blumenmeer auf dem Martin Place
Am Tatort, dem sonst so belebten Martin Place, wo für gewöhnlich täglich tausende Menschen in alle Richtungen in ihre Büros strömen, herrschte am Dienstag Ausnahmezustand. Der Platz glich einem Blumenmeer, viele Menschen zündeten Kerzen an und trugen sich in Kondolenzbücher ein, die am Platz vor dem Café auslagen.
An Regierungsgebäuden und Sehenswürdigkeiten wehten australische Flaggen auf Halbmast. Auch stellten sich viele Australier demonstrativ an die Seite ihrer muslimischen Mitbürger.