Schlimmstfolgen der Verpackungsbeilage

Unser Autor hat den Fehler begangen, die Verpackungsbeilage einer Magentablette zu lesen. Eine Beispielstudie, wie man es auf keinen Fall machen sollte. Manchmal hilft nach einem schweren Essen nur der Gang in die Apotheke. Zu überfressen, zu übersättigt ist man und alles liegt einem fürchterlich auf. Ein Stein, der festsitzt, nicht weiterkommt und Schmerz und […]

Unser Autor hat den Fehler begangen, die Verpackungsbeilage einer Magentablette zu lesen. Eine Beispielstudie, wie man es auf keinen Fall machen sollte.

Manchmal hilft nach einem schweren Essen nur der Gang in die Apotheke. Zu überfressen, zu übersättigt ist man und alles liegt einem fürchterlich auf. Ein Stein, der festsitzt, nicht weiterkommt und Schmerz und Leid verursacht.

Angekommen im Drugstore ist einem eh schon schlecht, doch wenn man dann zum Geruch einer Apotheke noch zusätzlich den Anblick der grauhaarigen Apothekerin mit Frauenschnäuzer vor sich ertragen muss, fühlt man sich noch elender. Nachdem ich die Frage, ob ich Blut im Stuhlgang hätte, eindeutig mit einem «Nein» beantworten konnte, ich auch klar machte, dass ich nicht Durchfall habe, ich auch noch nicht gekotzt hätte (aber vielleicht bald), sondern einfach nur zu schwer gegessen, händigt sie mir ein Medikament namens «Motilium» aus. Never heard. «Moltilium lingual Gastrosan», um genau zu sein.

Lesen Sie auf keinen Fall die Packungsbeilage. Alle Ärzte raten einem davon ab und es gibt einschlägige Studien dazu. Das hat für die Mediziner zwei grosse Vorteile. Es tritt in den Köpfen der Patienten kein Anti-Placebo-Effekt auf, das heisst, sie haben nicht auf einmal Juckreiz unter dem kleinen Zeh und haben auch nicht plötzlich das Gefühl, an Atemnot zu leiden oder sie bekämen nächstens einen Schlag, ausgelöst vom zähschleimigen Auswurf. Aber der Hauptvorteil für Ärzte ist, dass die Patienten die westliche Medizin nicht in Frage stellen. Weil Derartiges schlägt dann auf die Psyche. Und das mit Physis und Psyche ist ja so wie ein altes Ehepaar. Geht’s einem der beiden schlecht, leidet der andere auch. Ein Plus und ein Minus ergeben ein Minus.

Zwei hält besser

Natürlich lese ich doch den Beipackzettel. Ein fataler Fehler mit Folgen. Ich stolpere schon über den Begriff «Schmelztablette». Also was jetzt, es ist doch eine Lutschtablette, oder? Ich nehme ja nicht an, dass ich sie erhitzen muss, bevor ich sie einnehme. Ich lasse eine auf der Zunge zergehen und frage mich, ob es denn jetzt was gebracht hat oder nicht? Die war ja so munzig klein. Ich nehme noch eine, so stark kann eine ja nicht sein, habe das Medikament ja schliesslich ohne Rezept bezogen.

Ich lese weiter. «Nebenwirkungen». Schlagartig krampft mein übersättigter Magen noch mehr. Die aufgeführte, am häufigsten (weniger als 1 Patient von 100) auftretende Nebenerscheinung ist, dass man einen trockenen Mund bekommt. Na gut, das geht ja noch, aufatmen. Doch was steht da noch, unter «gelegentlich»? Angstzustände, Verlust des Interesses an Sex oder verringertes Interesse an Sex, Kopfscherzen, Schläfrigkeit, Durchfall, Ausschlag, Juckreiz, Schmerzen oder Druckempfindlichkeit der Brust, Milchausflüsse aus den Brüsten, allgemeines Schwächegefühl. Seltener können durch den Konsum von «Moltilium» auch Nesselausschlag, Erregtheit, Nervosität und Unfähigkeit zu urinieren auftreten.

Vom Bauchweh habe ich jetzt Kopfweh.

Die durch Distress produzierten Säuren, die sich hierdurch in meinem Verdauungstrakt dazugebildet haben, verschlechtern meinen allgemeinen Gesundheitszustand zusehends. Mit Schrecken stelle ich fest: Oh, mein Gott, ich habe alles, was nicht weiblich konnotiert ist, auf dieser Todesliste! Ich hänge geistig bereits am Tropf. Vor lauter Schreck spüre ich die Magenschmerzen gar nicht mehr, denn es ist jetzt zu einer Frage von Leben und Tod für mich geworden. Vom Bauchweh habe ich jetzt Kopfweh, weil ich derartig nervös und erregt bin, mir tut jetzt auf einmal alles weh und es beisst mich am ganzen Körper. Das ist sicher der jetzt auftretende Nesselausschlag, gefürchtet von allen, Schweiss auf meiner Stirn. Ich sollte auf Toilette, aber ich kann nicht, wahrscheinlich werde ich eh nie mehr im Leben Urin lösen können!

Es geht zu Ende. Exitus.

Wie in Dürrenmatts «Meteor» lege ich mich (zwar ohne Pelzmantel) in mein Bett und versuche, so gut es halt geht, selig einzuschlafen und in Frieden auf mein Ableben zu warten. Es dauert sicherlich nur noch weniger als zehn Minuten. Doch der Tod lässt sich Zeit. Stattdessen läutet das Telefon. Doch für ein letztes Telefonat kann ich mich nicht mehr aufraffen…

Die Sonne lacht, es ist warm und die Vögel zwitschern. Ist das jetzt der Himmel? Wahrlich nicht erwartet hätte ich, dass ich hier landen würde. Vorsichtig richte ich mich in meinen Kleidern auf und schaue mich im hell erleuchteten Raum um. Auf dem Nachttisch neben dem Bett liegt eine Schachtel «Motilium lingual Gastrosan», es fehlen zwei Schmelztabletten.

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