Tagsüber ist Patrick Martin «Dr.rer.nat.», am Feierabend «EhrenpräsidEnte» – ein Einblick in das wundersame Universum der Donaldisten.
Wenn am 13. April der Kongress der Donaldisten stattfindet, sollten es neugierige Besucher vermeiden, sich voller Freude ein Entenkostüm überzuziehen. Sie würden von den Kongressteilnehmern schief angesehen und vermutlich gar belächelt.
Denn wenn sich die grossen Kenner Entenhausens in Basel treffen, heisst das nicht, dass sie das alte Kloster Klingental in ein Disneyland verwandeln werden. Nichts liegt ihnen ferner als eine kommerzielle Ausschlachtung. «Donaldist kann man nicht werden. Donaldist ist man», sagt Patrick Martin (51), der Organisator des Kongresses.
Dass er Donaldist ist, realisierte er schon in den 1970er-Jahren. Als Kind verschlang er Comics, von den Eltern als Schundliteratur abgetan. Schätzte das Subversive und Geistreiche an den frankophonen Büchern von Hergé (Tim und Struppi) und Goscinny/Uderzo (Asterix und Obelix), verlor sich aber vor allem in den Donald-Duck-Geschichten.
Ein skurriler Verein
Dabei stellte er fest, dass ihn manche Geschichten stärker fesselten als andere. «Ich konnte das als Kind noch nicht so genau erklären, aber da fanden sich qualitative Unterschiede.» Jene, die der Cartoonist Carl Barks für den Disney-Kosmos ausmalte, begeisterten ihn am meisten. Barks schuf Geschichten mit dramaturgischen Bögen, verlieh Figuren wie Dagobert Duck nicht nur dreidimensionale Tiefe, sondern auch Tiefgang.
Patrick Martin spürte, dass er ein Barksist war und fand heraus, dass es einen Zirkel Gleichgesinnter gab. So besuchte er 1981 erstmals einen Kongress von D.O.N.A.L.D., der «Deutschen Organisation nichtkommerzieller Anhänger des lauteren Donaldismus».
Diese eigenartige Vereinigung war 1976 in Norddeutschland ins Leben gerufen worden. Treibende Kraft war Hans von Storch (er heisst wirklich so, was das Ganze noch skurriler erscheinen lässt). «Wir wollten den Entenhausen-Kosmos erforschen, dafür brauchte es eine Organisation», erzählte von Storch in einem Interview mit dem «Spiegel».
Für Donaldisten ist Entenhausen keine Fiktion, sondern Realität.
1978 beschäftigte sich Klimaforscher und Meteorologe von Storch in einem Aufsatz mit dem «Klima in Entenhausen» und kam zum Schluss, dass der zweite Satz der Thermodynamik, ein Grundgesetz der Physik, in den Duck-Comics nicht gelte. Demnach müsse unsere beschränktere Welt ein Teil des Entenhausener Universums sein.
Damit legte er einen Grundsatz fest, an den sich historische Donaldisten bis heute halten: Entenhausen ist keine Fiktion, sondern ein Paralleluniversum. Und dieses gilt es zu erforschen.
Als Grundlage dienen die Geschichten, die Disney-Zeichner Carl Barks hinterlassen hat. Mit akribischer Genauigkeit und kindlicher Freude werden sie untersucht, so auch von Patrick Martin, ebenfalls ein Naturwissenschaftler. «Dr.rer.nat., Dipl. Geologe, Senior Leiter FB Schadstoffmanagement» steht auf seiner Visitenkarte, die er als Mitarbeiter einer Basler Ingenieurfirma aushändigt.
Uns reicht er eine zweite Karte: «PaTrick Martin, EhrenpräsidEnte von D.O.N.A.L.D.» Er wohnt in Eimeldingen, wenige Kilometer vom Dreiländereck entfernt. Seiner Initiative ist es zu verdanken, dass die Donaldisten in Basel tagen. «Nach 36 Jahren war es an der Zeit, dass der Kongress auch mal in der Schweiz stattfindet», sagt er.
Donaldisten treffen sich zum Kongress in Basel
Am 13. April führt D.O.N.A.L.D., die «Deutsche Organisation nichtkommerzieller Anhänger des lauteren Donaldismus», ihren Jahreskongress erstmals in der Schweiz durch. Im Basler Museum Kleines Klingental werden von 12 bis 18 Uhr Vorträge gehalten und Forschungsergebnisse präsentiert: Man analysiert etwa Baustil und religionswissenschaftliche Bedeutung des Entenhausener Münsters und diskutiert Geologie, Planetologie oder Rechtssystem dieses Paralleluniversums.
Einen besonderen Höhepunkt bildet die Verleihung des mit 100 000 Talern dotierten Professor-Püstele-Preises. Damit wird ein Mitglied für einen besonders herausragenden Forschungsbericht geehrt.
Die Veranstaltung ist öffentlich.
Während man in seiner Jugendzeit nur schwer an Informationen über diese Organisation herankam, so ist der Kontakt heute – Internet sei Dank – nur eine Frage eines Mausklicks. Entsprechend gross sei die Zuwachsrate, erzählt Martin. In den letzten zehn Jahren hat sich die Mitgliederzahl verdoppelt, 850 Donaldisten zählt die Vereinigung. Sie ist weltweit die grösste ihrer Art. Und steht auch Kindern offen. Der monatliche Vereinsbeitrag (1 Euro) soll für niemanden eine Hürde bedeuten.
Unlustige Taschenbücher
Patrick Martin meldete sein erstes Kind gleich nach der Geburt an. Das ist zehn Jahre her. «Heute hat mein Sohn mehr Donald-Duck-Comics als ich», sagt er. Denn für ihn ist nicht die Quantität oder der materielle Wert der Sammlung von Bedeutung, sondern die Auseinandersetzung mit der Materie. Was der breiten Masse als «Lustiges Taschenbuch» verkauft wird, entlockt einem Kenner nur ein müdes Lächeln.
Zum Sozialisierungs- respektive Donaldisierungsprozess mögen diese Büchlein geeignet sein, für ernsthafte Anhänger sind sie aber nur ein «Element der breiten Massenjugendkultur». Zu viele Zeichner führen zu Brei, quasi. Eines der Ziele der Barksisten ist es denn auch, «die donaldischen Massen von den Irrlehren des ‹Lustigen Taschenbuchs› abzubringen», wie es in einer Satzung heisst.
«90 Prozent der Mitglieder sind Akademiker und – zu unserem Leidwesen – männlich», sagt Martin. «Vielleicht spricht unser Humor Frauen weniger an?», fragt er sich. Immerhin, beim letzten Kongress seien in mehreren Vorträgen Genderthemen behandelt worden. «Wir sind auf gutem Weg», hofft Martin. Daisy, Oma Duck oder Gundel Gaukeley seien interessante Figuren für die Forschung. Wofür steht denn eine Hexe wie Gaukeley? «Nach meiner Wahrnehmung transportiert sie Sex – als einzige Figur in Entenhausen überhaupt.»
Symbolisiert Gundel Gaukeley Sex – oder gar die Sowjetunion?
So liess sich der Zeichner Don Rosa, für die Donaldisten einziger ernstzunehmender Epigone von Carl Barks, gar dazu hinreissen, Gundel Gaukeley ein Dekolleté zu verpassen. «Es gibt aber noch eine andere Deutung», erzählt Martin. «Nämlich jene, dass Gundel Gaukeley die Sowjetunion symbolisiere. Das ist insofern schlüssig, als dass sie zur Zeit des Kalten Krieges als Gegenspielerin zum kapitalistisch-amerikanischen Dagobert Duck ins Feld geführt worden ist. In unserem Periodikum habe ich kürzlich eine interessante Abhandlung darüber gelesen.»
Das Periodikum, worin solche Thesen unter die Leute gebracht werden, heisst «Der Donaldist». Eine Zeitschrift, die wie alles, was die Organisation macht, betont nichtkommerziell ist. Im Wechsel publiziert eine «Reducktion» donaldistische Texte. Auch Patrick Martin hat so Forschungsergebnisse öffentlich gemacht. «Es sind einige Dutzend Leute, die wissenschaftliche Arbeiten verfassen», erzählt er.
Ehrenamtliche Forschung
Wie kommt man dazu, seine Freizeit dafür zu opfern? «Beruflich beschäftigen wir uns oft mit trockenen Sachen. Die meisten von uns haben aber an der Uni gelernt zu forschen. Das führen wir halt jetzt auf diese Weise fort», sagt Martin und fügt lachend hinzu: «Meine Frau hat kein Hobby, ich dafür eins für zwei Menschen. So gleicht sich das aus.»
Seine Untersuchung von «Barks Thierleben» hat Hunderte von Stunden beansprucht. Waren seine drei Kinder im Bett, setzte er sich in sein Büro, blätterte durch die Comics und trug seine Erkenntnisse zur «Biodiversität in Entenhausen» zusammen. Das 84 Seiten starke Buch im A4-Format (PDF siehe Artikelrückseite) diente 2012 gar als Katalog zu einer gleichnamigen Ausstellung im Naturkunde-Museum von Bamberg.
Ganz schön abgefahren? Durchaus. Wenn aber Martin betont, dass sich die Donaldisten mehr Anerkennung von akademischer Seite wünschen, dann meint er das keineswegs im Scherz. Im vergangenen Jahr wurde er von der Uni Zürich gebeten, einen Vortrag über geologische Phänomene in Entenhausen zu halten. Was er leidenschaftlich gerne tat. «Am Ende wagte es keiner mehr, eine Frage zu stellen», stellt er zufrieden fest.
Fernziel Donaldisten-Lehrstuhl
Sein Wunsch wäre es, dass die Forschung auch an Universitäten betrieben würde, wie dies zu Fantasybüchern wie J.R.R. Tolkiens «Herr der Ringe» der Fall ist. Warum hat es Donald Duck noch nicht an die Uni geschafft? «Diese Frage stellen wir uns immer wieder. Bisher waren wir als Organisation sehr selbstzufrieden», räumt er ein.
«Künftig möchten wir stärker auf die Schulen zugehen, ihnen mit Materialien und unserem Wissen dienen», sagt Martin. Fernziel wäre es, dass ein Donaldisten-Lehrstuhl eingerichtet würde. Bisher beschränkt sich die Verbreitung von Thesenpapieren auf die Vereinigung. Dafür wird der Kampf um Anerkennung humorvoll ausgetragen: Als Patrick Martin die Untergruppe der «Südeuropäischen Donaldisten» gründete, reagierten die Vertreter der norddeutschen Vorherrschaft prompt: Sie riefen H.A.N.S.E. ins Leben, die «Hauptversammlung Aller Nicht-Süd-Europäer». Eine Gegenorganisation. Darauf muss man zuerst mal kommen.
Gemeinsam machen sich die deutschsprachigen Donaldisten auch dafür stark, dass die Klassiker nicht an den Zeitgeist angepasst werden. «Wir kämpfen dafür, dass die Texte bei Neuauflagen unangetastet bleiben», sagt Martin. Erika Fuchs, eine Kunsthistorikerin, übersetzte die Geschichten, die im Original in einer recht flapsigen Sprache geschrieben waren. «Frau Doktor Fuchs», wie sie ehrfürchtig genannt wird, kombinierte dabei die Jugendsprache ihrer Zeit mit klassischen Zitaten aus der Literatur – zum Beispiel von Schiller – und trug damit wesentlich dazu bei, dass die Comics intellektualisiert wurden.
Unterwanderung des F.A.Z.-Feuilletons
So gehören nebst Wissenschaftlern auch auffällig viele Feuilletonisten zum Kreis der Donaldisten. Serge Hediger (49), der den Schweizer Stammtisch der HelDonisten ins Leben gerufen hat, war jahrelang Redaktor bei «SonntagsBlick» und «Facts». Und das Feuilleton der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» war sogar eine Zeit lang von Donaldisten unterwandert, wie Patrick Martin bestätigt. «Reduckteure wie Patrick Bahners oder Andreas Platthaus machten sich einen Spass daraus, Donald-Duck-Zitate ins Blatt zu hieven. Und wir Donaldisten freuten uns, wenn wir die F.A.Z. aufschlugen und eine Überschrift wiedererkannten.»
Bei aller Ernsthaftigkeit, die diesem Schnattern auf hohem Niveau anhaftet: «Wir wissen, dass wir ein bisschen verrückt sind. In unserer Satzung steht explizit geschrieben, dass der Vollbesitz der geistigen Kräfte nicht Aufnahmebedingung ist», erzählt Martin. Davon kann man sich am Kongress überzeugen. Etwa wenn am Ende eines Vortrags lauthals Beifall geäussert wird. Im Sinne ihrer Vereinssitte skandieren Donaldisten «Klatsch, klatsch, klatsch!», wenn sie begeistert sind. Ganz schön comic.
Quellen
http://www.quakpiep.de/Barks‘ Thierleben.pdf
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 29.03.13