Forscher vom WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos haben erstmals die Lebensdauer von Schneekristallen vermessen: Sie werden höchstens zwei bis drei Tage alt. Dafür haben die Forscher im Kältelabor Schneekristallen in Echtzeit bei der Verwandlung zugeschaut.
Die Umformung von Eiskristallen im Schnee wird „Schneemetamorphose“ genannt. Sie ist der Grund, weshalb Neuschnee nicht pulvrig bleibt oder sich schwache Schichten in der Schneedecke bilden, wie das SLF in einer Mitteilung schreibt. Sie spielt deshalb eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Lawinen.
Damit dieser Faktor in Rechenmodelle eingebaut werden kann, beobachteten die SLF-Forscher mittels Mikro-Computertomographie, wie sich die Eiskristalle im Schnee bei typischen Wintertemperaturen im Lauf der Zeit verändern. Tiefenreif mit charakteristischen, becherförmigen Kristallen ist die auffälligste Schneeform, die dabei entsteht.
Bis vor kurzem gingen Schneeforscher davon aus, dass die grössten Kristalle auf Kosten der kleinen wachsen und dabei ihren Kern – die umgewandelte Schneeflocke – behalten. Das Team um Bernd Pinzer fand jedoch heraus, dass sämtliche Kristalle mehrfach vollständig abgebaut und an anderer Stelle wieder aufgebaut wurden, wie sie im Fachblatt „The Cryosphere“ berichten.
Stetes Verdampfen und Kristallisieren
Während des dreiwöchigen Experiments wandelten sich die Kristalle sechs- bis siebenmal komplett um. Ein einzelner Schneekristall überlebte somit zwei bis drei Tage. „Das bedeutet, dass das meiste Eis in einer saisonalen Schneedecke bei diesen Temperaturen mehrmals verdampft und neu kristallisiert“, schreiben die Forscher.
60 Prozent des Eises erneuere sich innerhalb von zwei, drei Tagen, und nur ganz wenig Eis sei älter als acht Tage. Statt vom Wachstum von Schneekörnern müsse man demnach eher von einem Wachstum durch Verdrängung sprechen, schreiben die Forscher.
Instabile Schneeschichten
Schon in früheren Experimenten hatten Pinzer und Kollege Martin Schneebeli eine rasche Umwandlung von Schneekristallen beobachtet. Sie hatten erkundet, wie wechselnde Temperaturgefälle in Schneeschichten nahe der Oberfläche die Metamorphose beeinflussen – und damit die Stabilität der Schneedecke.
Wiederum fanden sie, dass sich innerhalb von 12 Stunden zwei Drittel des gesamten Schnees umwandelten. Diese Umkristallisation führte zu grösseren und weniger verbundenen Schneestrukturen, es bildeten sich längliche, ärmchenförmige Kristalle. Dieser Schnee bleibe weich wie Neuschnee, trotz völlig anderem Aufbau, schreibt das SLF.
Er gaukelt eine falsche Stabilität vor: Schnee mit kugeligen Formen würde sich viel stärker setzen und härter werden. Die länglichen Strukturen sind jedoch eine brüchige Unterlage. Sie können später, wenn Schnee darauf fällt, zu einer Schwachschicht werden, auf der sich Lawinen bilden können.