Schreie der Liebe gegen die Kälte der Welt

Hat das Soul-Revival seinen Zenith schon überschritten? Die Frage stellte sich vor dem Gastspiel der US-amerikanischen Formationen Kings Go Forth und Charles Bradley in der Kaserne Basel. Das Konzertpublikum war sich am Ende einig: Nein. Ungebremste Kraftschübe und markterschütternde Schreie sorgten für Begeisterung.

Im Funkschritt, vorwärts, Marsch! Die Kings Go Forth, angeführt von ihrem Häuptling Black Wolf!

Hat das Soul-Revival seinen Zenith schon überschritten? Die Frage stellte sich vor dem Gastspiel der US-amerikanischen Formationen Kings Go Forth und Charles Bradley in der Kaserne Basel. Das Konzertpublikum war sich am Ende einig: Nein. Ungebremste Kraftschübe und markterschütternde Schreie sorgten für Begeisterung.



Wie lange kann ein Revival dauern? Ein, fünf oder gar zehn Jahre? Seit Amy Winehouse 2006 ihr Album «Back in Black» veröffentlichte, dreht sich der Retrosoul-Zirkus unbeirrt weiter, auch wenn er seinen kommerziellen Zenith überschritten haben dürfte. Die jungen Chicks wie Amy, Duffy und Adele sind dabei nicht mehr so sehr das Thema. Verkannte Helden drängen jetzt ans Mikro, begleitet von der nächsten Generation weisser Soulfreaks. Einblicke in diese fröhlichen Urständ’ des Soulrevivals konnte man gestern Abend gleich zweifach in der Kaserne Basel bekommen.

Könige aus Wisconsin



Da wären zunächst die Kings Go Forth. Ihre Geschichte hat herzlich wenig mit dem gleichnamigen Kriegsfilm von 1958 zu tun, in dem sich Frank Sinatra und Tony Curtis um ein Mädchen zanken. Vielmehr bietet das Oktett aus Milwaukee, das bei David Byrnes Label Luaka Bop unter Vertrag ist, vom ersten Takt an kratzbürstigen Funk mit brodelnder Rhythmussektion. Dabei sehen die Bandmusiker nicht wie gestandene Entertainer oder «hardest working men in show business» aus, sondern kommen als Mischung aus Computer-Nerd, Beat-Bubi und Neo-Hippie rüber. Um Corporate Identity zu stiften, haben sie sich alle in Tai-Chi-Anzüge gewandet.

Von der Gegensätzlichkeit ihrer beiden Vokalprotagonisten jedoch lebt die Show der Könige aus Wisconsin: Bandgründer Andy Noble peppt sein unscheinbares Aussehen durch eine Sonnenbrille auf, schüttelt manisch das Tamburin, schickt den Zuhörern immer wieder Falsettschübe entgegen. Getoppt wird er allerdings um Längen von Black Wolf, Afro-Amerikaner mit Cherokee-Blut und 57-jähriger Veteran unter den Youngstern: Er legt nochmals ein paar Intervalle obendrauf, kreist in schwindelerregenden Höhen mit seinem anarchisch vibrierenden Sopran und macht seinem Namen alle Ehre – mehr als einmal beendet er ein Stück mit unverhohlenem Wolfsgeheul auf Knien.

Hommage an James Brown

Zusammen ergibt das einen wilden, hartkantigen Zaubertrank aus fast ausschliesslich Uptempo-Nummern, in denen die Bläser und die Orgel mit dem ungestümen Stimmenduo wetteifern. Doch man beisst sich nicht im Funk fest: Zwischendrin verweist ein geradliniger Viervierteltakt fast auf Disco, dann wiederum, zu einem klar herausgemeisselten Motown-Groove, geben die Kings eine männlich polternde Version der Supremes. Und unvermittelt schwenkt Black Wolf, der sich auch mal mit bizarrer Erlösergestik hervortut, in das Spiritual «Wade In The Water» ein. Stets bleibt hier alles dem Gesamtklang verpflichtet, von kurzen Bongo-Solos und einer WahWah-Gitarreneinlage abgesehen.

Dass diese Truppe phasenweise alles andere als hasenrein aufspielte, machte gerade ihren Reiz aus: Da verhakt sich mal die Trompete, da rutscht Black Wolf mal mit seinen Gesangseskapaden auf dem Glatteis aus – doch man verzieh das leicht bei diesem unbändigen Energieschub, der schnell auf die bald gut gefüllte Reithalle übergriff.

Als Showdown ließ sich Black Wolf mit Frotteehandtuch gestützt auf einen Betreuer abführen; ein etwas zu offensichtlicher Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung James Brown – den der zweite Mann des Abend in seiner Kunstfigur «Black Velvet» immer wieder imitiert hat. Und deshalb konnte man gespannt sein: Inwieweit würde Charles Bradley in die Haut des Godfathers schlüpfen?

Markerschütternde Schreie

Bradley ist der Prototyp der eingangs erwähnten unsung heroes: Als obdachloses Strassenkind in Brooklyn aufgewachsen sieht er den Godfather im Apollo und bekommt die Inspiration für sein Leben. Eines Lebens, das von Schicksalsschlägen und Wirrungen geprägt ist: Als Koch verdingt er sich von New York bis Alaska und Kalifornien, hat immer wieder Bands, ist aber nie erfolgreich. Seine James Brown-Imitationsshows bescheren ihm erstmals ein bisschen Erfolg, als er schon über 50 ist. Da wird sein Bruder erschossen – und Charles Bradley droht in tiefer Depression zu versinken.

Daptone-Chef Gabriel Roth, dessen Hausband die Dap-Kings auch Amy Winehouse begleiteten, hört ihn zufällig, erkennt sein Talent und bringt ihn mit Songschreiber Thomas Brenneck zusammen. Die beiden verstehen sich blendend, und Brenneck giesst seine Wunden in ein ganzes Album namens «No Time For Dreaming», das nun zum 10-Jahres-Jubiläum des Retrosoul-Labels Nummer Eins erschienen ist.

Schon bevor Bradley auf die Bühne kommt, ist klar, dass seine Begleitband nicht den Ehrgeiz für die ungebremsten Kraftschübe ihrer Vorgänger hat: Die Extraordinaires, wiederum bestehend aus jungen Weissen, spielen einen im Bass druckvollen, aber gezügelten, kontrollierten Southern Soul im Midtempo. Sie werden, ausgenommen vereinzelte Vorstösse von der Trompete und der Farfisa-Orgel, immer im Hintergrund bleiben, oft gehüllt in lila Schimmer, um den idealen Teppich für die Hauptperson zu bieten. Stilvoll angekündigt erscheint schliesslich Bradley im dunklen Samtanzug und steigt gleich in eine gediegene Ballade à la Percy Sledge ein. Dieser Stimme sind die biographischen Brüche anzuhören, in diesem Reibeisen steckt jahrzehntelanger Schmerz, und wenn sie ins markerschütternde Screaming hinaufsteigt, dann tönt das, als würde ein grosser Sack verbogener Nägel ausgeschüttet. 

Dazu setzt Bradley gekonnt das grosse gestische Vokabular des seelenvollen schwarzen Südstaatlers ein: Er klopft sich auf die Brust, schwingt die Arme, als würde er fliegen, deutet mit den Händen an, wie ihm Tränen über die Wangen fließen, hängt sich den Mikroständer über die Schultern wie der leidende Jesus das Kreuz und geht schließlich auf die Knie.

Pirouetten am Mikro

Die Inszenierung ist so perfekt, dass man sich tatsächlich in die Endsechziger zurückversetzt fühlt. Seine Stärken sind unverkennbar die langsamen Stücke, doch auch den hartkantigen Funk seines großen Vorbildes Brown, den er vor allem im zweiten Set einschließlich der berühmten Pirouetten am Mikro kopiert, beherrscht der 62-Jährige, dessen Mimik stets zwischen Leiden und Verzückung schwankt. 

Kleine Ausflüge in Coverversionen, etwa «Slip Away» von Clarence Carter oder – etwas deplatziert, denn es bietet seiner Stimme nicht die geringste Entfaltung – Neil Youngs «Heart Of Gold» werden eingeflochten. «It’s a cold, cold world» ist eine seiner abschliessenden Botschaften – doch Charles Bradley, der das Publikum warmherzig immer wieder als «sisters and brothers» anspricht, setzt der Kälte der Welt Schreie der Liebe entgegen. Das begeisterte Auditorium feierte den Mann lang anhaltend, und nahm ein Rätsel mit nach Hause: Welche Bedeutung hatte der rote Flamingo am Schlagzeug? Die Frage nach dem Ende des Soulrevivals jedenfalls konnte nach diesem grandiosen Erlebnis mit einem klaren Nein beantwortet werden – zumindest was Basel anbelangt.

 


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