Nun gibt es zuerst einmal eine kleine Pause. Notgedrungen – die Schuhe haben bald keine Sohlen mehr.
Ich liege auf der Matratze, wo ich vor mehr als zwei Monaten letztmals genächtigt hatte, bevor ich aufbrach nach Durness. Zeitig am Morgen geht der Betrieb in der Wohnung los. Obwohl die drei Burschen gestern abend lang und ausgiebig den Sonntag des WM-Finals genossen haben, stehen sie zeitig auf, gehen ihren Jobs nach und ich dämmere vor mich hin.
Kein Aufbruch heute, kein Loswandern. Wie lange ich da bleibe, weiss ich noch nicht. Rino hat mir die Post der letzten zwei Monate aufgestapelt, und ich merke, dass es gar nicht so einfach ist, unbezahlt Urlaub zu machen. Was ich da alles vorher hätte erledigen sollen. Von Pensionskasse bis zu anderen Kassen und Ämtern.
Das beansprucht einige Zeit, dann muss ich den Umzug nach Paris organisieren, mal kurz hinreisen, um eine Wohnung zu suchen respektive eine Wohnung anzusehen, die mir ein Kollege vermittelt.
Eien begründete Treue
Aber vor allem suche ich heute einen Schuhmacher auf. Die Sohlen meiner Wanderschuhe sind durchgelatscht, wie Büttner sagen würde. Ein neues Paar kaufen, wie mir jemand vorschlägt, kommt nicht in Frage. Dieses Paar hier soll nach Sizilien wandern.
So viele Kilometer schon. Es hat nichts Verklärendes, Romantisierendes oder sonstwas Ähnliches, wenn ich unbedingt in diesen Schuhen weitergehen will. Es ist einfach so: Sie haben sich meinen Füssen und diese ihnen angepasst. Wenn ich morgens reinsteige, dann gehts wie von selbst. Nichts tut weh, nichts stösst an – «es» will von selbst weiterwandern. Und wenn ich sie abends ausziehe, ist es zwar eine Wohltat, die Füsse befreit zu wissen, aber die Schuhe haben keine Blattern oder sonst etwas Unangenehmes hinterlassen.
Am Nadelberg nimmt ein Schuhmacher das Paar entgegen. Er ist kein grosser Schwätzer, fragt einfach, wie lange ich sie schon hätte. Und, als ich sage «noch kein halbes Jahr», wundert er sich, warum die Sohlen schon abgewetzt seien. Ich sage ihm, dass ich von Schottland her gewandert sei. «Trotzdem», sagt er, «die sind schon arg beansprucht. Dann müssen Sie viel auf Teer gewandert sein.» Dem stimme ich zu und er sagt, er brauche drei Tage für die Reparatur.
(Birsfelden, den 1. Juli 2002)