Die Schweiz sorgte in Basel für die Überraschung des Jahres. Anders ist der 1:0-Coup gegen Rekordweltmeister Brasilien nicht zu werten. Dani Alves‘ Eigentor (48.) hatten sich die Gastgeber verdient.
Unmittelbar nach der Pause staunten im St. Jakob nicht nur die 31’100 Zuschauer: Nicht das Star-Ensemble, das vor rund fünf Wochen Welt- und Europameister Spanien beim Confederations-Cup-Final 3:0 deklassiert hatte, führte, sondern die Nummer 15 des FIFA-Rankings. Den Ball berührte aber ein Brasilianer als Letzte – Dani Alves lenkte eine Flanke Seferovics ins eigene Tor. Die Art und Weise, wie der Barcelona-Verteidiger zum Kopfball in die falsche Richtung ansetzte, wird in seiner Heimat vermutlich Stoff für mehrere Zeitungszeiten liefern. Der 71-fache Nationalspieler leistete sich den Fauxpas des Abends völlig unbedrängt.
Mit der zweiten Slapstick-Szene manövrierten sich die hoch dotierten Multimillionäre aus Südamerika um Haaresbreite vorzeitig vollends ins Offside. Botafogo-Keeper Jefferson verfehlte einen harmlosen Schuss gleich mehrfach. Zentimeter trennten die Schweiz vor einer 2:0-Führung. Aber ein zweites «Geschenk» war gar nicht mehr nötig, Hitzfelds Equipe liess sich den zweiten Sieg in der Geschichte des Verbands nicht mehr entreissen.
14 Jahre nach dem letzten 1:0-Triumph gegen die «Selção» und rund drei Saisons nach dem historischen 1:0 gegen den nachmaligen Weltmeister Spanien produzierten die Schweizer erneut globale Schlagzeilen. Das sind erstaunliche Fakten und ein kräftiges Indiz dafür, dass mit Hitzfelds Mannschaft in der WM-Ausscheidung weiterhin auf höchstem Niveau zu rechnen ist. Brasilien ist mehr als eine Traumdestination.
Brasiliens Serie gestoppt
Eine Reaktion des Rekord-Weltmeisters blieb nahezu aus. Zu gut gruppiert war das Team von Ottmar Hitzfeld. Die bewusst umformierte Innenverteidigung überzeugte ohne Ausnahme. Senderos, Klose und der Basler Debütant Schär liessen sich von den Brasilianern kaum einmal aus der Reserve locken. Aber auch alle übrigen in der SFV-Auswahl erfüllten höchste Ansprüche, keiner fiel ab – und einer sogar pausenlos auf: Bayern-Professional Xherdan Shaqiri stellte Neymar diskussionslos in den Schatten.
Mehr als zwei, drei gefährliche Situationen liessen die Gastgeber nicht zu. Einmal beanspruchten sie beim Kopfball Paulinhos gegen die Latte (38.) Glück, mehrheitlich bewegten sich die Schweizer auf der Augenhöhe mit Neymar und Co – notabene gegen einen Kontrahenten, der nahezu in bester Formation angetreten war und vor dem Fehltritt in Basel mit einer Serie von Siegen gegen Top-Teams wie Frankreich, Uruguay, Italien und Spanien brillierte und während der zweiten Amtszeit von Luiz Felipe Scolari bislang nur gegen England verloren hatte.
Die Steigerung nach den Turbulenzen
«Es könnte ein Gegner sein, der uns eventuell auch die Grenzen aufzeigt», hatte Ottmar Hitzfeld vor dem Anpfiff gemutmasst. Die Grenzerfahrungen dauerten dann aber nicht allzu lange. Die Angriffswelle ebbte rasch ab. Einzig Neymar verwickelte die Schweizer Defensive zu Beginn mit seinen Dribblings in einige heikle Zweikämpfe, Hulk vergab früh eine hochprozentige Chance. Und Rückkehrer Philippe Senderos musste einen High-Speed-Gegenstoss in grösster Bedrängnis stoppen – Schiedsrichter Aytekin taxierte den Griff an Neymars Shirt mit Gelb.
Die Schweizer begnügten sich aber keineswegs mit einer Nebenrolle. Sie mühten sich nicht nur in der eigenen Platzhälfte ab, nach einer gewissen Zeit hatten sie den Rhythmus der Prominenz adaptiert. Dzemaili, der den gegen Island gesperrten Captain Gökhan Inler im defensiven Mittelfeldzentrum ansprechend vertrat, setzte in der 15. Minute in der Offensive den ersten Akzent.
Im eigenen Strafraum sorgte Diego Benaglio mit einer erstklassigen Parade gegen den St. Petersburger Hulk für das nächste Highlight aus Sicht der Gastgeber. Die vorzüglichen Aktionen bestärkten die Schweizer, dem fünffachen Weltmeister couragierter entgegen zu treten. Xherdan Shaqiri, er mit Tempovorstössen und Schüssen aus allen Distanzen, trat gleich mehrfach in Erscheinung.
Und die angemessene Härte der SFV-Auswahl goutierte vor allem einer gar nicht: Neymar, der neue, 57 Millionen Euro teure Hoffnungsträger von Barça. Die Nummer 10 der «Seleção» beschwerte sich nach ein paar Remplern und löste Mitte der ersten Hälfte im Frust mit einem Foul gegen Lichtsteiner auf dem Rasen mittlere Tumulte aus – Behrami liess sich Neymars unsportliches Verhalten nicht gefallen und legte sich nicht nur verbal gleich mit mehreren Brasilianern an.
Neymar verschwand ab jenem Moment praktisch von der Bildfläche. Der Wunderknabe wurde bei seinem ersten grossen Auftritt in Europa von einer Mannschaft entzaubert, die am Ende mit einer mehrminütigen Standing-Ovation verabschiedet wurde. Nicht die grossen Namen des Welt-Fussballs hatten das Publikum erstklassig unterhalten, für die schönsten Kombinationen und Höhepunkte sorgten die Schweizer.
Schweiz – Brasilien 1:0 (0:0)
St.-Jakob-Park. – 31’100 Zuschauer. – SR Aytekin (De). – Tor: 48. Dani Alves (Eigentor/Seferovic) 1:0.
Schweiz: Benaglio; Lichtsteiner (62. Lang), Senderos (46. Schär), Klose, Rodriguez; Behrami, Dzemaili (75. Schwegler); Shaqiri (86. Mehmedi), Xhaka, Stocker (46. Barnetta); Seferovic (75. Gavranovic).
Brasilien: Jefferson; Dani Alves (67. Jean), Thiago Silva, Dante, Marcelo (57. Maxwell); Paulinho, Luiz Gustavo (57. Fernando); Hulk (62. Lucas), Oscar (59. Hernanes), Neymar; Fred (57. Jo).
Bemerkungen: Schweiz ohne Djourou (verletzt), Derdiyok, Drmic, Ziegler, Emeghara (alle nicht im Aufgebot). Nicht eingesetzt: Wölfli, Sommer, Von Bergen, Inler. Länderspiel-Debüts von Schär und Lang. 38. Kopfball von Paulinho gegen die Latte. Verwarnungen: 11. Senderos (Foul), 23. Neymar und Behrami (beide Unsportlichkeit). 90. Schwegler (Foul).