Aus Sicht der liberalen Denkfabrik avenir suisse gefährdet die Mindestlohn-Initiative den gut funktionierenden Schweizer Arbeitsmarkt. Ein Blick ins Ausland zeige zudem, dass die Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern geringe Einkommensunterschiede habe.
Unter Ausklammerung von Norwegen und Luxemburg schaffe es neben der Schweiz kein anderes Land, einen so hohen Wohlstand zu schaffen und diesen gleichzeitig relativ breit zu verteilen, schreibt avenir suisse in einer am Freitag veröffentlichten Studie.
Die vergleichsweise hohen Schweizer Einkommen seien gegenüber dem OECD-Durchschnitt gleichmässiger auf die Bewohner verteilt. Allerdings gibt es durchaus Länder, die noch besser dastehen, wie die Studie zeigt: In Frankreich, Dänemark und Slowenien beispielsweise sind die Einkommen gleichmässiger verteilt als in der Schweiz.
An der Spitze steht die Schweiz hingegen, was die Löhne von vollzeitlich angestellten Arbeitnehmern betrifft. Diese seien in keinem OECD-Land so gleichmässig verteilt wie in der Schweiz, schreibt avenir suisse unter Berufung auf OECD-Zahlen sowie eigene Berechnungen.
Ein Hauptgrund dafür liegt in den Augen von avenir suisse in der starken Stellung der dualen Berufsbildung. Die Berufslehre sorge dafür, dass der Anteil der Personen, die keine Ausbildung absolvieren, tief sei.
Tiefere Löhne für Teilzeit-Angestellte
Vergleicht man allerdings alle Löhne und nicht nur diejenigen der Vollzeit-Angestellten, steht die Schweiz schlechter da als andere Länder, wenn auch immer noch besser als der OECD-Durchschnitt.
Der Hauptgrund dafür dürfte laut avenir suisse darin liegen, dass der Anteil der Teilzeitangestellten mit relativ tiefem Beschäftigungsgrad in der Schweiz besonders hoch ist, vor allem im Vergleich mit den skandinavischen Ländern.
Dabei falle zusätzlich ins Gewicht, dass sich der Lohn mit sinkendem Pensum in der Regel leicht überproportional verringere. Davon betroffen sind insbesondere die Frauen. Eine «noch bessere Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt wäre darum ein Weg zu einer (noch) gleichmässigeren Verteilung des Wohlstands in der Schweiz», schreibt avenir suisse.
Neben der Verteilung der Einkommen hat avenir suisse auch die Verteilung der Vermögen unter die Lupe genommen. Auf den ersten Blick seien Vermögen in der Schweiz zwar deutlich ungleicher verteilt als Einkommen, heisst es in der Studie. Allerdings würden wesentliche Teile des Vermögensbestandes wie die Altersvorsorge oder die Immobilienvermögen nicht oder nur zum Teil erfasst.
Diese fehlende Hälfte der privaten Vermögen sei deutlich gleichmässiger verteilt, schreibt avenir suisse. Die Denkfabrik stützt sich bei dieser Aussage allerdings teilweise auf Vermutungen ab, etwa was die Verteilung der Vermögen in der beruflichen Vorsorge angeht, zu der keine offiziellen Zahlen existieren.
Mindestlohn würde Arbeitsmarkt schaden
Aus Sicht der avenir suisse steht die Schweiz insgesamt gut da, staatliche Eingriffe lehnt die liberale Denkfabrik ab. Mit einem Mindestlohn von 4000 Franken, wie ihn die Initiative des Gewerkschaftsbundes vorsieht, bekäme die Schweiz laut avenir suisse die höchsten Mindestlöhne in Europa.
Avenir suisse warnt, ein solcher Eingriff würde dem Arbeitsmarkt schweren Schaden zufügen und wäre längerfristig nicht im Interesse von gering Qualifizierten.
Markteingriffe schwächten die Anreize zu arbeiten, zu sparen und zu investieren und bremsten damit das Wachstum. Für das Wohlergehen der untersten Einkommensschichten sei jedoch über längere Zeiträume sowieso das Wachstum eines Landes wichtiger als die Verteilung der Einkommen.