Die Kommentatoren der Schweizer Zeitungen rechnen die Annahme der Asylgesetzrevision Bundesrätin Simonetta Sommaruga als Vertrauensbeweis an – und als Auftrag. Zugleich äugen sie auf die Auswirkungen der Revision und halten den Finger auf die Rechte der Asylsuchenden.
AARGAUER ZEITUNG/SÜDOSTSCHWEIZ: «Nun muss das Volk die ‚Probezeit‘ bis am 28. September 2015 abwarten – wenn die Massnahmen ins ordentliche Recht überführt werden. Bundesrätin Sommaruga verdient bis dahin jede Unterstützung. Die Bundespolitik ist ihrerseits gefordert, sich für die schnelleren Verfahren einzusetzen. (…) Raschere Verfahren bedingen aber auch, dass der Rechtsschutz für die Asylsuchenden gewährt bleibt.»
BASLER ZEITUNG: «Mit dem gestrigen Ja zur Revision haben die Schweizer ein solides und breit abgestütztes Fundament für mehr Effizienz gelegt. Doch für sich alleine taugt dieser Revisionsschritt wenig. Er macht nur im Zusammenspiel mit der nächsten Vorlage, die Bundesrätin Simonetta Sommaruga in diesen Tagen in die Vernehmlassung schickt, Sinn.»
BERNERZEITUNG: «Nüchtern betrachtet ging es bei der gestrigen Abstimmung auch nicht um einen Entscheid zwischen Härte und Humanität. (…) Die Knochenarbeit kommt erst jetzt. Denn nach wie vor existiert der knifflige Umbau des Asylwesens bloss auf dem Reissbrett. (…) Die vielen offenen Fragen werden zur Nagelprobe für den breiten Konsens.»
DER BUND/TAGES-ANZEIGER: «Das überdeutliche Ja zur dringlichen Gesetzesrevision ist auch ein Vertrauensbeweis für Justizministerin Simonetta Sommaruga. Das Ziel schnellerer Verfahren stand im lauen Abstimmungskampf im Mittelpunkt. (…) Gefragt ist eine nüchterne Herangehensweise, die anerkennt, wo die Grenzen der eigenen Einflussnahme liegen.»
NEUE LUZERNER ZEITUNG/ST. GALLER TAGBLATT: «Für Sommaruga, die als SP-Bundesrätin mit dem Asyldossier keine einfache Aufgabe hat, ist dies eine wichtige Bestätigung. Sie weiss ihre Reformabsichten nun vom Stimmvolk getragen. (…) Dass ein rechtsstaatlich korrekter und humaner Umgang mit den Asylsuchenden nicht auf der Strecke bleiben darf, muss dabei selbstverständlich sein.»
NEUE ZÜRCHER ZEITUNG: «Zum grössten Teil ist dies mit dem Wunsch nach einem effizienteren, wenn nicht härteren Vorgehen zu erklären. (…) Immerhin erleichtert die jetzige Revision der Migrationsministerin aber den Einstieg in ‚ihre‘ grössere Reform (…). Wer (…) konkrete Fehlentwicklungen einschränken will, muss Vollzugsprobleme primär als Vollzugsprobleme behandeln. (…) Für Aktivismus am Rand der Rechtsstaatlichkeit (…) besteht kein Grund.»
SVP im Fokus
Das Nein zur Volkswahl des Bundesrates wird in den Kommentarspalten als Zeichen des Vertrauens in die Politik gewertet. Die SVP muss sich vorwerfen lassen, mit der Vorlage lediglich auf die Abwahl ihres Bundesrates Christoph Blocher reagiert zu haben.
AARGAUER ZEITUNG/SÜDOSTSCHWEIZ: «Auch die SVP-Basis haderte mit der Vorlage: Die Partei konnte ihre Wähler zu wenig mobilisieren. Das führte dazu, dass die national-konservative Partei mit einem Projekt scheiterte, das den Schweizern schlicht zu progressiv war. (…) Wer Bewährtes ändern will, muss bessere Gründe haben als die Mauscheleien vor den Bundesratswahlen.»
BASLER ZEITUNG: «Eine satte Mehrheit ist zufrieden mit dem heutigen System der Bundesratswahl. (…) So gesehen ist das bewusste Festhalten an der Tradition eines von der Bundesversammlung gewählten Bundesrats zu begrüssen. Dies gilt umso mehr, als mit dem Ja auch der Wunsch verknüpft ist, eine andere Tradition möge genesen: die Konkordanz.»
BERNERZEITUNG: «Gleich mehreren Punkten hat die SVP zu wenig Rechnung getragen. Erstens hat die Schweiz bereits sehr gut ausgebaut Volksrechte. (…) Der Wunsch nach einem Ausbau ist gering. (…) Zweitens sehen die Stimmbürger kein drängendes Problem darin, wenn das Parlament den Bundesrat wählt.»
DER BUND/TAGES-ANZEIGER: «Die Mehrheit des Stimmvolkes ist nicht der Auffassung, sie habe zu wenig zu sagen. (…) Die Volkswahl-Initiative diente der SVP-Spitze nicht zuletzt dazu, die Abwahl von Christoph Blocher zu verarbeiten. (…) Nach dem gestrigen Nein zur Volkswahl bedeutet dies personalpolitische Aufbauhilfe für Kandidaten, die im Parlament eine Wahlchance haben.»
NEUE LUZERNER ZEITUNG: «Eine überdeutliche Mehrheit der Schweizer sieht keinen Grund, ein Wahlsystem umzukrempeln, mit dem es bis jetzt gut gefahren ist. (…) Der Name Blocher liefert das Stichwort für das nächste Problem der SVP. (…) Den Verdacht, sie habe eine selbsttherapeutische Massnahme zur Verarbeitung eines Traumas ergriffen, wurde sie nie los.»
NEUE ZÜRCHER ZEITUNG: «Die klare Niederlage war bereits nach den ersten Umfragen absehbar gewesen. Dazu kommt, dass der Initiative schon am Abstimmungssonntag etwas Anachronistisches anhaftete – gewissermassen ein Relikt aus der noch pur oppositionellen SVP-Wachstums-Ära im Umfeld der Blocher-Wahl und -Abwahl. (…) der mechanische Rekurs auf das ‚Volk‘ reicht da nicht. Das klare Abstimmungsergebnis bringt aber auch zum Ausdruck, dass es um das Vertrauen in die politischen Institutionen nicht schlecht steht.»
ST. GALLER TAGBLATT: «Die SVP hatte die Initiative im Frust lanciert. (…) gerade die Volkspartei müsste eigentlich wissen, wie wenig das Volk politische Experimente schätzt. Eine derart gravierende Änderung hätte unabsehbare Folgen für das gesamte politische System gehabt.»