Die Schweizer Langläuferinnen sehen sich in der neuen Weltcupsaison mit einer erhöhten Erwartungshaltung konfrontiert. An der Weltspitze deutet derweil vieles auf einen Monolog von Therese Johaug hin.
Die Zeiten, in denen mehrere Weltcup-Rennen der Frauen ohne oder mit lediglich einer Schweizerin stattgefunden haben, sind Vergangenheit. Nach drei Jahren gehören mit Seraina Boner, Laurien van der Graaff und Nathalie von Siebenthal wieder drei Langläuferinnen den obersten beiden Kader-Stufen (Nationalmannschaft und A-Kader) von Swiss-Ski an. Und die eine oder andere junge Athletin stösst gemäss Disziplinenchef Hippolyt Kempf nach.
Die grosse Aufsteigerin war im letzten Winter Nathalie von Siebenthal. Die U23-Weltmeisterin im Skiathlon zählt, verglichen mit anderen Athletinnen in ihrem Alter, zur Weltspitze. In der letzten Weltcupsaison errangen mit der Schwedin Stina Nilsson und der Österreicherin Teresa Stadlober lediglich zwei Langläuferinnen unter 23 Jahren mehr Weltcup-Punkte als Von Siebenthal. Die 22-Jährige hat ihren Trainingsumfang auf diese Saison hin um zehn Prozent erhöht. In der am Freitag in Kuusamo (Fi) beginnenden Weltcup-Saison will sie sich im Bereich der Ränge 15 bis 30 etablieren.
«Ihre Karriere ist sehr interessant. Sie hat eher einen umgekehrten Weg gemacht als viele andere und verfügt über einen unglaublich guten Motor. Sie ist technisch einfach noch nicht fertig entwickelt. Es wird sich zeigen, wie viel man diesbezüglich in ihrem Alter noch zulegen kann», sagt Swiss-Ski-Direktor Markus Wolf über die Schweizer Hoffnungsträgerin aus dem Berner Oberland. Vor Jahresfrist war Von Siebenthal lediglich Insidern ein Begriff gewesen, innerhalb weniger Monate nahm das (mediale) Interesse für ihre Person massiv zu. Massgeblich dazu beigetragen hat ihr 6. WM-Rang über 10 km Skating in Falun, als sie die Gunst der Stunde nutzte und bei zunehmend schlechter werdenden Streckenbedingungen von ihrer tiefen Startnummer profitierte.
Anders als Von Siebenthal trainieren die beiden anderen Schweizer Aushängeschilder im Frauen-Langlauf, die Sprintspezialistin Laurien van der Graaff und die hauptsächlich in der Langdistanz-Serie «Ski Classics» engagierte Seraina Boner, mittels Privatteam. Mit bislang drei Podestplätzen ist Van der Graaff die derzeit erfolgreichste Schweizerin auf Weltcup-Stufe; zusammen mit Dario Cologna und Toni Livers gehört sie der Nationalmannschaft an. Passt alles zusammen, ist der gebürtigen Holländerin der erste Weltcupsieg einer Schweizer Langläuferin seit bald 29 Jahren (Evi Kratzer in Calgary) zuzutrauen. In der Disziplinenwertung der Sprinterinnen hat sich Van der Graaff eine Top-5-Klassierung als (ambitioniertes) Ziel gesetzt.
Seraina Boner wird wie in den vergangenen Jahren zwischen Weltcup und den «Ski Classics» pendeln, der Rennserie, welche die wichtigsten und traditionsreichsten Volksläufe der Welt vereint. Letzten Winter gewann die 33-jährige Bündnerin, die an Olympia- oder WM-Rennen zuletzt viermal in Folge in die Top 15 vordringen konnte, so viele Weltcup-Punkte wie nie zuvor. Bei sechs Rennen der «Ski Classics» stand sie auf dem Podest.
Björgen als grosse Abwesende
Eines dieser Rennen – das «Birkebeinerrennet» mit Ziel in Lillehammer – gewann in der letzten Saison Therese Johaug. Das norwegische Energiebündel gilt in der neuen Weltcup-Saison in Abwesenheit ihrer Landsfrau Marit Björgen als Topfavoritin auf den Gesamtsieg. Mit drei Goldmedaillen trat Johaug an den Weltmeisterschaften im vergangenen Februar eindrucksvoll aus dem langen Schatten Björgens. Im Alter von 27 Jahren ist die Bauerntochter bereits siebenfache Weltmeisterin.
Björgen erwartet im Dezember ihr erstes Kind, die 35-Jährige wird ihre Karriere nach der Babypause jedoch fortsetzten. Auch ohne die sechsmalige Olympiasiegerin dürfte die norwegische Dominanz abermals erdrückend sein. Wie im vergangenen Winter ist am ehesten Charlotte Kalla, der schwedischen Weltmeisterin über 10 km, zuzutrauen, in die Phalanx der Norwegerinnen eindringen zu können. Nach einem schwierigen Jahr mit physischen und psychischen Problemen befindet sich zudem die Polin Justyna Kowalczyk auf dem Weg zurück an die Weltspitze.