Was als Geste der Versöhnung gedacht war, endete mit einem Eklat: Aufgebrachte Demonstranten haben den serbischen Ministerpräsidenten Aleksandar Vucic am Samstag beim Gedenken zum 20. Jahrestag des Massakers von Srebrenica angegriffen und ihn vertrieben.
Vucic, der Anfang der 90er Jahre ein führender Verfechter der grossserbischen Kriegspolitik gewesen war, legte gerade ein Blumengebinde am Mahnmal nieder, als Demonstranten unter «Allahu Akbar»-Rufen begannen, Steine nach ihm zu werfen.
Nach Angaben der Nachrichtenagentur Tanjug traf ein Stein den serbischen Regierungschef am Kopf, seine Brille zersplitterte. Abgeschirmt von seinen Leibwächtern musste er vom Gedenkort fliehen.
In einer ersten Reaktion auf den Zwischenfall erklärte der serbische Aussenminister Dacic, nicht nur Vucic sei angegriffen worden, «sondern ganz Serbien und seine Politik des Friedens und der regionalen Zusammenarbeit».
Schon bei seiner Ankunft in Srebrenica war Vucic von Demonstranten ausgebuht worden. Er setzte seinen Besuch jedoch zunächst fort, trug sich in das Kondolenzbuch ein und unterhielt sich mit einigen Opfer-Müttern. Eine der Frauen umarmte ihn lange.
Begriff «Genozid» vermieden
Vucic wollte ursprünglich als Geste der Aussöhnung an der Feier teilnehmen. Kurz vor seiner Teilnahme hatte er das Massaker in einem offenen Brief als «monströses Verbrechen» verurteilt. Es sei seine «Pflicht, sich vor den Opfern zu verneigen».
Das Massaker von Srebrenica hat Vucic zwar wiederholt verurteilt, es jedoch stets als Tat einzelner Verbrecher eingestuft. Auch in seinem offenen Brief vermied er den Begriff «Genozid».
In den vergangenen Jahren nahmen serbische Spitzenpolitiker wiederholt an Gedenkfeiern in Srebrenica teil, die Bezeichnung des Verbrechens als «Völkermord» lehnt Belgrad aber ab.
Von UNO-Tribunal als Völkermord eingestuft
Das Massaker von Srebrenica im Jahr 1995 war das schlimmste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg und wurde vom UNO-Tribunal für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag als Völkermord eingestuft.
Kurz vor dem Ende des Bosnienkriegs waren damals bosnisch-serbische Milizen in die damalige UNO-Schutzzone einmarschiert und hatten an den leichtbewaffneten niederländischen UNO-Blauhelmsoldaten vorbei rund 8000 muslimische Jungen und Männer verschleppt und getötet.
Mehr als 6200 der Opfer sind inzwischen in der Srebrenica-Gedenkstätte bestattet, am Samstag wurden dort 136 weitere, erst kürzlich identifizierte Opfer beigesetzt.
An der Gedenkzeremonie in der bosnischen Kleinstadt nahmen zehntausende Menschen teil, darunter auch zahlreiche Politiker aus dem Ausland wie der damalige US-Präsident Bill Clinton, die ehemalige US-Aussenministerin Madeleine Albright und der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu.
Versagen der Niederlande eingeräumt
Die ehemalige Batteriefabrik, in welcher die Zeremonie stattfand, hatte den niederländischen UNO-Soldaten damals als Hauptquartier gedient. Sie hatten das Massaker nicht verhindern können, obwohl die Vereinten Nationen Srebrenica zur «sicheren Schutzzone» erklärt hatten.
Erstmals sprach zum Jahrestag auch ein niederländischer Aussenminister. Bert Koenders räumte offen das Versagen seines Landes in Srebrenica ein und sagte den Opferfamilien: «Alle Niederländer trauern mit Ihnen.»
Dutzende Imame aus dem ganzen Land führten die Trauerfeier an. Die Namen der 136 bestatteten Opfer wurden vorgelesen. Verwandte und Freunde trugen die Särge durch die Menschenmenge. Familienangehörige schaufelten am Ende die Gräber wieder zu.
Die «Mütter von Srebrenica» verteilten an die in- und ausländischen Gäste die «Blume Srebrenicas» als Anstecker. Ihr weisser Blütenkranz soll die Unschuld der Opfer symbolisieren, ihr grünes Zentrum die Hoffnung.