Sind wir allein? Science-Fiction und Science-Non-Fiction

In Science-Fiction-Filmen fällt es Menschen leicht, sich aus dem Staub ins All zu machen. Die Wissenschaft sieht das etwas nüchterner. Hansjörg Betschart unterhielt sich mit zwei Physikern der Universität Basel. In der Science-Fiction fällt es Menschen leicht, sich aus dem Staub, den sie auf der Erde aufgewirbelt haben, ins All zu machen. Die Science-Non-Fiction, also […]

Hier denkt man in Basel ins All

In Science-Fiction-Filmen fällt es Menschen leicht, sich aus dem Staub ins All zu machen. Die Wissenschaft sieht das etwas nüchterner. Hansjörg Betschart unterhielt sich mit zwei Physikern der Universität Basel.

In der Science-Fiction fällt es Menschen leicht, sich aus dem Staub, den sie auf der Erde aufgewirbelt haben, ins All zu machen. Die Science-Non-Fiction, also die Wissenschaft, sieht das etwas nüchterner. Hansjörg Betschart hat zu diesem Thema Prof. Dr. Dirk Trautmann und Prof. Dr. Friedrich-K. Thielemann von der Universität Basel befragt. 

Raumfahrt oder Traumfahrt?

In «Interstellar» muss Nasa-Pilot Cooper (Matthew McConaughey) Erde 2 ausfindig machen. Anne Hathaway begleitet ihn dabei. Sie nehmen hierzu den Notausgang aus unserem Universum. Sie schlüpfen in der Nähe des Saturns durch ein Wurmloch – in ein anderes Universum. Dort hoffen sie, auf einen bewohnbaren Planeten zu stossen.

Prof. Dr. Dirk Trautmann von der Universität Basel

Prof. Dr. Dirk Trautmann von der Universität Basel (Bild: Betschart)

Dirk Trautmann und Friedrich Thielemann, beide Professoren der Physik an der Uni Basel, wissen, dass die nonfiktionale Raumfahrt zurzeit keine grossen Lorbeeren holt. Der umtriebige Unternehmer Richard Branson hat mit seinem Raumfahrtunternehmen «Virgin Galactic» eben einen herben Rückschlag erlebt. Die Nasa hat vor einer Woche einen Warentransporter in die Luft gejagt. Für die beiden Physiker wirkt da der Plot von «Interstellar» eher wie ein hübsches Märchen.

 

Prof. Dr. Friedrich-K. Thielemann, Ordinarius der theoretsichen Physik in Basel.

Prof. Dr. Friedrich-K. Thielemann, Ordinarius der theoretsichen Physik in Basel.

«Wenn wir mit Lichtgeschwindigkeit reisen könnten, bräuchten wir zum Mond 1,3 Sekunden, zum Mars 3 Sekunden. Aber bereits zur Raumsonde ‹Voyager›, die vor etwa dreissig Jahren ins All katapultiert wurde, wären es 17 Stunden. Zum nächsten Stern würde die Reise in Lichtgeschwindigkeit bereits 4,2 Jahre dauern. Die nächste grössere Galaxie, Andromeda, liegt in 2,5 Millionen Lichtjahren Entfernung doch etwas abgelegen.»

Fiction und Non-Fiction ähneln sich

Dennoch nennen die beiden Wissenschaftler unisono «2001 – Odyssee im Weltraum», als ich sie frage, welcher Film über das Abenteuer All sie am meisten fasziniert hat. «Kubrick hat künstlerische Phantasie und wissenschaftliche Spekulation glücklich vereint.»

Wo ist Science-Fiction von damals von der Non-Fiction eingeholt worden? In «‹Raumschiff Enterprise› war jeder mit jedem per Funk verbunden. Das ist heute fast Realität.»

Den beiden Wissenschaftlern ist sofort anzumerken, dass sie mit den Messdaten der Sonden mehr anfangen können als mit Science-Fiction. Dennoch faszinieren sie die Spekulationen von Christopher Nolan, der in «Interstellar» einen Familienvater ins All schickt, weil hinter ihm der Planet im Staub erstickt.

Nolan («Inception», «The Dark Knight Rises») operiert mit der Annahme, dass die Reise durch ein sogenanntes «Wurmloch» den Zeithorizont aufheben und in ein anderes Universum führen könnte. Gibt es mehrere Universen? «Bewiesen ist nichts. Aber rechnerisch kann man davon ausgehen. Auch die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwo Leben existiert, wird mit der Annahme anderer Universen grösser. Die Frage bleibt auch da: In welchem Stadium befindet sich dieses Leben? Wie können wir mit ihm kommunizieren? Und: Wie kommen wir da hin?»

Von Wurm- und anderen Löchern

In «Interstellar» nutzt der Nasa-Pilot ein solches Wurmloch. Dieses Hintertürchen zwischen den Universen wird mit einem gefalteten Blatt Papier illustriert. Das Wurmloch wäre demnach eine Verbindung zweier Raumzeiten, die unendlich weit voneinander entfernt sind. «Was da in ‹Interstellar› mit dem gefalteten Blatt illustriert wird, ist zwar höchst spekulativ, entspricht aber einer Lösung der allgemeinen Relativitätstheorie, die mit einer Vielzahl von Universen rechnet.»

Die Reise in «Interstellar» ist also nicht notwendigerweise unmöglich? «Zeitreisen scheitern physikalisch eigentlich immer an mehreren Kausalitäten. Wäre eine Reise über den Zeithorizont (oder gar zurück!) möglich, könnten wir unseren Grossvater daran hindern, unsere Eltern zu zeugen. Wir würden damit unsere eigene Existenz auslöschen.»

«Dennoch denkt auch die Wissenschaft über Spekulationen der Science-Fiction nach: So hat Kurt Gödel bereits früher das Universum als in Rotation befindlich errechnet. Wäre das so, wäre eine unendlich schnelle Reise möglich.»

Schnell reisen heisst auch schnell bremsen

Damit kommt die Rede auf die Reiseweise. Eben ist in den Staaten eine private Raumfähre abgestürzt. Der Nasa ist ein Nachschub-Shuttle explodiert. «Von Lichtgeschwindigkeit sind wir mit den herkömmlichen Raketen noch weit entfernt, abgesehen von den zu erwartenden Strapazen der Beschleunigung.» Und wie soll das dann durch ein Wurmloch gehen?

«Charles L. Adler rechnet in ‹Wizards Allience and Starships› vor, wie so eine Reise ausfallen könnte. Rechnerische Lösungen bietet die allgemeine Relativitätstheorie hierfür. Sie werden auch bereits praktisch genutzt, indem wir die Gravitation (der Erde) nutzen, um Objekte zu beschleunigen. Eine Raumsonde wird dann absichtlich noch einmal in Erdnähe geführt, um in der Erdrotation Schwung zu holen. Wir nennen das den ‹Sling Shot›, bei dem das Streifen eines Gravitationsfeldes zur Beschleunigung genutzt wird.» In «Interstellar» nimmt man so den Schwung eines Schwarzen Loches mit, also einer ungleich grösseren Masse? «Ja. Das gibt sicher viel Schwung. Aber davon wissen wir noch wenig. Ausserdem wäre man allein schon nur zum nächsten Schwarzen Loch, zum Zentrum unserer Galaxie, 30’000 Jahre unterwegs.» 30’000 Jahre? «Erdzeit.»

Gibt es überhaupt den Beweis eines Wurmloches? «Auch das weiss keiner. Wir stossen mit unseren Beobachtungen da an Grenzen. ‹Schwarze Löcher› kann man immerhin nachweisen, auch im Zentrum unserer Milchstrasse kann man ein solches Phänomen beobachten. Dort ist unendlich viel Masse auf kleinem Raum konzentriert, deren Schwarzschildradius messbar ist.»

Science-Fiction meets Science-Non-Fiction

So ähnlich klingt das dann auch in «Interstellar». Dort löst man, wie in anderen Science-Fiction-Werken, Probleme, indem man sie übergeht. Die Non-Fiction bleibt da am Boden – der Spekulation. «Wäre man ausserdem erst einmal so schnell unterwegs, müsste man ja auch mal wieder bremsen… » Wir müssten noch ein weiteres Energieproblem lösen?  «Wir brauchen uns nur vor Augen zu führen, wie viel Energie es braucht, um ein einziges Teilchen auf Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen. Dafür brauchen wir im CERN in Genf ein ganzes Kraftwerk. Da wird rasch klar, dass es unendlich viel mehr braucht, um ein Objekt von der Grösse eines Jumbojets auf Trab zu bringen.» Wie viele Atome hat ein Mensch? «Etwa 10 hoch 24.» Klingt nach viel.

«Entscheidend ist immer die Zeit: Die Zeit vergeht zwar bei hoher Geschwindigkeit für den Reisenden beweisbar anders: Man hat vor 20 Jahren bereits Atomuhren verglichen, von denen die eine auf der Erde, die andere im Flugzeug um die Erde flog. Das Ergebnis waren drei Sekunden Differenz.» Das heisst, die Flug-Uhr, war danach drei Sekunden «jünger» als die Boden-Uhr? «Gewissermassen.»

Wie kann Science-Fiction die Science-Non-Fiction beeinflussen? «Zurzeit ist es wohl eher umgekehrt: Einer der führenden Astrophysiker der Welt, Kip S. Thorne (Mitautor des Grundlagenwerkes ‹Gravitation›), hat das Team von ‹Interstellar› beraten. Ich habe ihn als  einen begeisterungsfähigen, kreativen Wissenschaftler persönlich erlebt. Für ihn ist die Science-Fiction ein schöner Umweg: Wenn Wissenschaft immer nur auf dem Boden der Fakten bleibt, kommt sie nicht weiter. Nolan macht im Film dann aus minimalen Wahrscheinlichkeiten der Science-Non-Fiction maximale Behauptungen der Science-Fiction.»

Welche physikalischen Gesetze werden der Dramaturgie untergeordnet? «Ein Verstoss gegen die Kausalität sind zum Beispiel die Video-Botschaften in ‹Interstellar›: Das geht so gar nicht. Über mehrere Lichtjahre Entfernung dauert ein Telefongespräch eben auch jahrelang. Vielleicht gilt auch in der Kunst wie in der Wissenschaft das Prinzip von ‹Ockhams Rasiermesser›: Die schönsten Lösungen sind in der Wissenschaft oft die einfachsten. In der Wissenschaft steckt ein Wunsch nach Eleganz und Einfachheit. Wie in der Kunst. Da trifft sich vielleicht die Schönheit der Physik mit der Behauptung in der Kunst.»

Der Weg ist weit

Was interessiert denn die beiden persönlich an der Science-Non-Fiction? Trautmann interessiert sich für das Chaos und dafür, ob Maschinen lernfähig werden können. Thielemann schaut ins Reich der Schöpfung: «Was mich immer wieder fasziniert, ist die Entstehung des Periodensystems. Nach dem Urknall gab es nur Wasserstoff und Helium. Alles andere entstand später. Woher kamen dann Silizium oder Kohlenstoff, Eisen etc.? Selbst die Frage nach der Entstehung der Atome ist spannend. Mit Sicherheit werden wir unseren Planeten in viereinhalb Milliarden Jahren verlassen müssen. Ab dann wird die Sonne zu einem Roten Riesen. Dann wird es bei uns sehr ungemütlich. Bis dahin bleibt uns also noch etwas Zeit.»

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