Skandal um Sozialfirmen – worum geht es eigentlich?

Eine Schlagzeile jagt die nächste: «400 Sozialfirmen machen 630 Millionen Franken Umsatz.» Bevor man weiss, worum es geht, wird schon der nächste Skandal inszeniert. Was machen diese Firmen eigentlich?

Ein Mitarbeiter der Firma Schneider sortiert elektrische Kabel am 19. Oktober 2012 im Recycling-Center in Volketswil. (KEYSTONE/Peter Klaunzer) (Bild: PETER KLAUNZER)

Eine Schlagzeile jagt die nächste: «400 Sozialfirmen machen 630 Millionen Franken Umsatz.» Bevor man weiss, worum es geht, wird schon der nächste Skandal inszeniert. Was machen diese Firmen eigentlich?

Matthias Bachmann* arbeitete vier Monate bei der Firma Dock in Basel. Elektronische Geräte auseinandernehmen, Bodenplatten aus Kork herstellen. Die Vorgesetzten grüssten morgens jeden Einzelnen mit Handschlag: «Das wirkt freundlich und verbindlich, gleichzeitig ist es eine Kontrolle, wer da ist», sagt Bachmann rückblickend.

Die «Dock» gilt als Paradebeispiel einer Sozialfirma. Wie funktioniert das Modell?

Bachmann fragte beim Sozialamt, ob es nicht eine Beschäftigung für ihn gebe. «Dann ging es rassig.» Bachmann wurde an «Dock» überwiesen und konnte wenig später die ihm zugewiesene Arbeit beginnen.

In manchen Fällen vermitteln auch extra dafür eingerichtete Fachstellen, wie das Arbeitsintegrationszentrum (AIZ) oder die Interinstitutionelle Zusammenarbeit (IIZ) Leute an die Sozialfirmen.

Ein umstrittenes Modell

So kommt der Sozialhilfebezüger zu einem Job im geschützten Rahmen – dem zweiten Arbeitsmarkt, wie es im Fach heisst. Dort spielen nicht die gängigen Marktmechanismen, die Arbeitsstellen sind subventioniert sozusagen.

Der Stundenlohn bei «Dock» betrug 14 Franken brutto pro Stunde, als Bachmann vor drei Jahr startete. Dieses Geld erhielt «Dock» vom Sozialamt zurückerstattet – «refinanziert» heisst das in Bürokraten-Deutsch. Je höher der Lohn, desto weniger Sozialhilfegeld erhielt Bachmann. Auf diese Weise konnte er bis maximal 400 Franken mehr verdienen, als er vom Sozialamt kriegen würde.

Das Modell ist umstritten. «Moderne Sklaverei» sagen manche, andere loben es als Chance, damit Sozialhilfebezüger etwas zu tun haben und nicht zu Hause beim Nichtstun verkümmern.

Sozial und profitabel – wie geht das?

De facto sind es für «Dock» sehr günstige Arbeitskräfte. Auf der Chefetage wird jedoch nicht abgesahnt, wie manche es von den profitorientierten Sozialfirmen vermuten. Die fünf Geschäftsleitungs-Mitglieder verdienen je 140 000 Franken im Jahr, der Reingewinn lag im letzten Jahr bei 37 000 Franken, wie die «Schweiz am Sonntag» recherchierte.

Selbst wenn die «Dock»-Betreiber tatsächlich nicht reich werden – dass private Unternehmen mit der Beschäftigung von Sozialhilfebezügern Geschäfte machen, sorgt bei vielen für Unmut. Und genau deswegen sorgt das Wort Sozialfirma für Schlagzeilen: Kann eine profitorientierte Firma gleichzeitig sozial sein?

Ein undurchsichtiger Brei

Eine Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz und anderen Instituten soll Licht ins Dunkel bringen. Ziel der Studie ist es unter anderem, alle Sozialfirmen zu erfassen, die zur Arbeitsintegration beitragen.

Die Studie wird voraussichtlich Ende 2015 erscheinen, doch bereits jetzt kursieren Zahlen daraus: Es gebe in der Schweiz rund 400 solche Sozialfirmen, die insgesamt einen Umsatz von 630 Millionen aufweisen – so schrieb die «Schweiz am Sonntag», der ein Manuskript zur Studie vorlag.

An der Fachhochschule Nordwestschweiz gibt man sich bedeckt: Es sei noch viel zu früh, von Ergebnissen zu sprechen.

Alles nur Effekthascherei der Medien also? Das Thema passt jedenfalls bestens zur aktuellen Sozialhilfe-Debatte, bei der alle Fakten zu einem undurchsichtigen Brei vermischt werden.

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