Im letzten Jahr sind so viele Kinder wegen vermuteter oder sicherer Kindesmisshandlung behandelt worden wie noch nie. 1405 Fälle meldeten die schweizerischen Kinderkliniken – das sind neun Prozent mehr als im Vorjahr.
Seit sechs Jahren erfasst die Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrie die Kindesmisshandlungszahlen. In diesen sechs Jahren sei die Zahl konstant angestiegen und habe nun einen neuen Höchstwert erreicht, teilte die Gesellschaft am Freitag mit.
Das muss jedoch nicht bedeuten, dass mehr Kinder misshandelt wurden. Laut der Gesellschaft für Pädiatrie ist es wahrscheinlich, dass der Anstieg zu einem grossen Teil andere Gründe hat: Eine hohe Sensibilisierung bei den Mitarbeitenden der Kinderkliniken beispielsweise oder eine gute Erfassung der Fälle. Ausserdem haben drei Kliniken ihre Zahlen erstmals mitgeteilt, was etwa einen Drittel des Anstiegs erklärt.
Körperliche Misshandlung am häufigsten
Die häufigste Form der Kindesmisshandlung ist die körperliche Misshandlung. Sie macht mehr als 28 Prozent aller erfassten Fälle aus. Am zweithäufigsten ist mit 27 Prozent die psychische Misshandlung. Der Anteil der Kinder, die psychisch misshandelt wurden, sei in den letzten Jahren gestiegen, schreibt die Gesellschaft.
Unter den Begriff psychische Misshandlung fallen Fälle, in denen Kinder verbal gedemüdigt, bedroht oder genötigt werden. Auch bei Kindern, die häusliche Gewalt miterleben und dadurch stark verängstigt sind, spricht man von psychischer Misshandlung. Bei 23 Prozent der misshandelten Kinder ging es um sexuellen Missbrauch, bei 22 Prozent um Vernachlässigung.
Eine sehr seltene, nur in vier Fällen erfasste Art der Misshandlung ist das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom. Dabei erfinden oder verursachen Eltern bei ihren Kindern Krankheiten oder Krankheitssymptome. Es wird vermutet, dass die Eltern Aufmerksamkeit und Zuwendung erreichen wollen, beispielsweise durch die behandelnden Ärzte.
Mädchen und Knaben betroffen
Von allen Formen der Misshandlung sind ungefähr gleich viele Knaben wie Mädchen betroffen – abgesehen vom sexuellen Missbrauch. Hier sind die Opfer zu drei Vierteln Mädchen.
Die Täter kommen oft aus dem nächsten Umfeld der Kinder: In 78 Prozent aller Misshandlungsfälle sind es Familienangehörige, bei rund 13 Prozent Bekannte des Kindes. Nur in etwa 3 Prozent aller Fälle ist der Täter ein Fremder. Bei rund 7 Prozent ist er unbekannt.
Vor allem Vernachlässigung und psychische Misshandlung finden fast immer innerhalb der Familie statt. Auch körperliche Misshandlung geschah zu 78 Prozent durch Familienangehörige. Beim sexuellen Missbrauch waren die Täter in 42 Prozent der Fälle Familienmitglieder.