Angesichts der weiterhin hohen Einwanderung hat Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga am Swiss Economic Forum (SEF) die Wirtschaft vor einem Schwarzpeterspiel gewarnt. Es sei «wenig sinnvoll» zu sagen, nur die Hälfte der Zuwanderer komme wegen einer Arbeitsstelle.
Die Schweizer Wirtschaft könne nicht einfach «Fachkräfte holen, aber dann sagen, die Familie lässt du zuhause». «Dass das nicht funktioniert, liegt auf der Hand», sagte Sommaruga am Donnerstag in ihrer Eröffnungsrede am SEF in Interlaken BE.
Der Präsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes, Valentin Vogt, hatte kürzlich erklärt, weniger als die Hälfte der Einwanderer komme zur Erwerbstätigkeit in die Schweiz. Und davon gehe ein nicht unerheblicher Teil in den öffentlichen Sektor wie das Gesundheits- und Sozialwesen oder die Bildung. Der Rest sei Familiennachzug.
Sommaruga räumte am SEF ein, im Gesundheits- oder im Bildungswesen könne das einheimische Arbeitskräftepotenzial besser genutzt werden. Dass die öffentliche Hand selber ein Treiber der Einwanderung sei, sei aber schlichtweg falsch. «Im ersten Quartal ist es mit 68 Personen eine Nullbilanz», sagte sie. Hingegen fragten sich viele zu Recht, warum bei der Zuwanderung das Gastgewerbe auf Platz 3 liege, wenn es doch die Branche mit der höchsten Arbeitslosigkeit sei.
Appell an die Wirtschaft
Um das einheimische Arbeitskräftepotenzial besser zu nutzen, seien Bildung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie der bessere Einbezug älterer Menschen nötig, bekräftigte Sommaruga. Dazu brauche es keine politischen Massnahmen, «Sie können das einfach tun», sagte die Bundespräsidentin vor den rund 1350 Firmenchefs und Entscheidungsträger aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft am SEF.
Sommaruga nahm auch Bezug auf das Motto des 17. SEF, «Vereinfachen, meistern von Komplexität»: Bei den Verhandlungen mit der EU nach Annahme der Masseneinwanderungsinitiative sei die Ausgangslage sehr schwierig. Die Positionen lägen weit auseinander und beide Seiten hätten wenig Spielraum. Die Situation mit Grossbritannien mache es Europa noch schwieriger, der Schweiz entgegen zu kommen, weil dann andere Staaten ebenfalls Sonderregeln wollten.
Die Personenfreizügigkeit werde von den EU-Staaten fast unisono als unantastbar bezeichnet. Es sei aber keine Option, gar keine Verhandlungen zu beginnen. Einige EU-Staatschefs hätten empfohlen, die Abstimmung zu wiederholen. Für Sommaruga wäre eine baldige neue Abstimmung über die Personenfreizügigkeit mit der EU aber undemokratisch.
Es wäre auch risikoreich, hätten doch 17 von 26 Kantonen die Masseneinwanderungsinitiative angenommen. Würde das Ja bestätigt, wäre dies für die Bilateralen Verträge ein schlechtes Signal, sagte Sommaruga. Die Schweiz werde aber ihr Verhältnis mit Europa klären müssen.
Pragmatisch aber nicht populistisch
Die Schweiz habe immer wieder gezeigt, dass sie in entscheidenden Momenten pragmatisch vorgehe, ergänzte Sommaruga. Vereinfachungen könnten aber auch gefährlich sein. Wer nur zwischen richtig oder falsch unterscheide oder zwischen gut und böse, ohne Grautöne, der mache es sich allzu leicht und werde zum Spielball von Populisten.
Der direkten Demokratie müsse Sorge getragen werden. Neben den Medien spielten die Kontrahenten von Vorlagen wichtige Rollen: Wenn aber kommende Abstimmungskämpfe auf demselben Niveau verliefen, wie jetzt bei der Änderung des Radio- und Fernsehgesetzes (RTVG), «dann halte ich das für beunruhigend, ja gefährlich».