Giulia Steingruber hat in den letzten Monaten noch einmal so grosse Fortschritte gemacht, dass sie an ihrem Paradegerät Sprung von einer Olympia-Medaille träumen darf. Heute startet sie in der Quali.
Zoltan Jordanov, der ungarisch-britische Cheftrainer der Schweizer Kunstturnerinnen, gilt als exzellenter Planer. Das Aufbauprogramm für seine aktuelle Vorzeigeschülerin Giulia Steingruber sah vor, bis zu den Spielen in London als zweiten Sprung neben dem Tschussowitina einen Tsukahara mit Doppelschraube zu beherrschen. Noch an den Europameisterschaften Mitte Mai in Brüssel, wo die 18-jährige Ostschweizerin mit einfacher Schraube die Bronzemedaille gewann, war für viele Experten klar: Die Zeit bis zum grossen Rendez-vous wird nicht reichen für die zusätzliche Längsrotation um 360 Grad.
Doch Jordanov und Steingruber liessen sich nicht beirren und machten sich in Magglingen wieder an die Arbeit. Im Podiumtraining am Donnerstag konnte nun jeder sehen, dass der Effort Früchte trägt. Steingruber hat die Doppelschraube im Griff – und zwar so gut, dass sie in der heutigen Qualifikation ab 12.15 Uhr die Wettkampfpremiere wagen wird. Kein Taktieren, kein Werweissen bis zum letzten Moment, sondern wild entschlossen volle Kraft voraus. „Es sollte klappen“, sagt Steingruber beim Treffen mit den Medien im House of Switzerland mit einer Mischung aus Gelassenheit und Überzeugung in der Stimme.
Mit der Doppelschraube erhöht sich der Schwierigkeitswert um 0,8 auf 6,0 Punkte. Mit den 5,8 für den Tschussowitina ergibt sich eine Kombination, die schwieriger ist als das Repertoire von Ariella Kaeslin auf deren Karrierehöhepunkt. Oxana Tschussowitina gewann vor vier Jahren in Peking mit „ihrem“ Sprung sowie einem Tsukahara mit Doppelschraube Olympia-Silber. Die Deutsch-Usbekin ist als einzige Sprung-Finalistin von 2008 auch in London dabei und bestreitet als 37-Jährige ihre sechsten Sommerspiele – ein beispielloses turnerisches Lebenswerk.
Hinter Weltmeisterin McKayla Maroney (USA/16) gibt es einen Kreis von einem halben Dutzend weiterer Medaillenkandidatinnen. Dazu zählt auch Giulia Steingruber. Zuerst muss das jüngste Schweizer Delegationsmitglied aber die Qualifikation für den Final der besten acht schaffen. Wenn Steingruber beide Sprünge sauber landet und steht, ist sie in einer Woche dabei. Die kleinere Herausforderung besteht im Vorstoss in den Mehrkampffinal der besten 24 vom Donnerstag. Den Qualifikationswettkampf absolviert Steingruber als Einzelstarterin in einer gemischten Gruppe, in der zweiten von fünf Abteilungen. Je nachdem wird sie also viel Geduld aufbringen müssen, bis das Verdikt feststeht.