Der St. Galler Klosterplan gilt als ältester erhaltener Bauplan Europas. 1200 Jahre nach seiner Entstehung soll die Klosteranlage nun erstmals tatsächlich gebaut werden – und zwar einzig mit Materialien und Mitteln, die schon im 9. Jahrhundert zur Verfügung standen.
Am Waldrand endet das 21. Jahrhundert. «Campus Galli», Feld des Gallus, steht auf einem Grenzstein. Wer den Wald betritt, findet sich mitten im frühen Mittelalter wieder. Auf einer Baustelle aus dem 9. Jahrhundert.
Statt Maschinenlärm sind Hammerschläge zu hören. Mit der Schaufel heben Arbeiter einen Graben aus, Bagger gibt es keine. Es ist erstaunlich ruhig dafür, dass hier 30 Festangestellte und eine Hand voll Freiwilliger an einem gewaltigen Projekt arbeiten.
Auf einer Fläche von der Grösse von zwölf Fussballfeldern soll eine ganze Klosteranlage entstehen. 52 Gebäude werden gebaut, genau wie auf dem St. Galler Klosterplan gezeichnet. Eine Kathedrale natürlich, Schlafsäle für die Mönche, ein Kreuzgang, aber auch ein Spital, ein Gästehaus, eine Schule, Stallungen, ein Kräutergarten und eine Brauerei.
40 Jahre Bauzeit
Die Bauzeit wird auf 40 Jahre geschätzt. «Wir bauen kein Klösterchen, sondern eine Klosterstadt», stellt der Aachener Journalist Bert M. Geurten klar, der das Projekt gemeinsam mit der Berner Kauffrau Verena Scondo initiiert hat.
Ein Film über ein ähnliches Projekt in Frankreich hat Geurten auf die Idee mit der Klosterstadt gebracht. In Guédelon wird seit 1997 an einer Burg aus dem 13. Jahrhundert gebaut. Für Geurten war sofort klar, dass er etwas ähnliches auf die Beine stellen will, mit noch älteren Baumethoden.
Dass die Wahl aufs 9. Jahrhundert fiel, ist kein Zufall. Geurten ist stolz darauf, nachweislich von Karl dem Grossen abzustammen. «Er hat meine Heimatstadt Aachen in dieser Zeit zur Hauptstadt Europas gemacht», sagt er.
Stadt aus Wald «herausgeschlagen»
Ein Jahr nach Baubeginn ist ein Grossteil der Fläche immer noch mit Wald bedeckt. Auf kleinen gerodeten Lichtungen haben sich Schreiner, Zimmerleute, Weberinnen, Schmiede, Korbmacher, Drechsler, Färberinnen, Schindelmacher und Seiler ihre Unterstände eingerichtet. In der Mitte des Geländes sind Steinmetze gerade dabei, das Fundament für eine einfache Holzkirche zu legen.
Das Vorgehen entspricht jenem im frühen Mittelalter. Auch damals hätten die Mönche erst die Infrastruktur geschaffen und einen einfachen Ort für das tägliche Gebet erstellt. «Die Stadt wird langsam aus dem Wald ‚herausgeschlagen’», erklärt Geurten.
Auch sonst hält man sich strikte an die damalige Zeit. Die Wolle für die Altardecke muss von Hand gesponnen werden – Spinnräder gibt es hierzulande erst seit dem 12. Jahrhundert. Hämmer, Zangen, Scheren und Maurerkellen werden so nachgeschmiedet, wie sie auf Zeichnungen aus der damaligen Zeit abgebildet sind. So es denn Zeichnungen gibt.
Geurten gäbe im Moment alles für eine Abbildung oder eine schriftliche Erwähnung einer Schubkarre aus dem 9. Jahrhundert. «Ich bin sicher, dass es damals schon Schubkarren gab. Aber da es keinen Nachweis gibt, dürfen wir keine benutzen.» Schwere Materialien müssen die Arbeiter darum in Körben schleppen. Selbstverständlich sind auch die Körbe wiederum von Hand geflochten – nach historischer Vorlage.
Praxistest für Historikertheorien
15 Wissenschaftler aus ganz Europa unterstützen das Projekt. Sie geben Expertenauskünfte, etwa wenn es darum geht, wie gross wohl die Türe einer karolingischen Holzkirche bemessen war. Zudem erhoffen sie sich von der konkreten Umsetzung auch neue Erkenntnisse.
Um die richtige Zusammensetzung für den Mörtel zu finden, wurde zum Beispiel eigens eine Probe aus dem Aachener Dom untersucht, der in etwa zur gleichen Zeit gebaut worden war. Nun wird der Mörtel in Messkirch nach genau der gleichen Rezeptur angemischt: aus Kalk, Wasser, Sand und Ziegelmehl.
Anders als bei anderen Historikerprojekten muss die Theorie in Messkirch aber auch den Praxistest bestehen. Die klobigen Holzschuhe etwa, die zur epochengerechten Kleidung der Handwerker gehören, zwickten anfangs bei jedem Schritt. Mit Wolle und Leder wurden die Druckstellen kurzerhand gestopft. Ja nicht zu viel abrollen mit dem Fuss, wird Neuankömmlingen geraten. Ein schlurfender Gang erleichtert das Fortkommen.
Doch Geschwindigkeit ist ohnehin nicht gefragt auf der Baustelle. In einer Welt ohne Maschinen und Baumärkte braucht alles seine Zeit. Eine Viertelstunde arbeiten der Schmied und sein Gehilfe am Blasbalg, bis sie zu zweit einen einzigen Nagel hergestellt haben. Zwei Stunden werken zwei Zimmerleute für ein Dielenbrett.
Noch bleiben 39 Jahre Bauzeit. «Vielleicht werden es am Ende auch 50 Jahre», sagt Geurten. Konkret geplant werde nur auf zwei Jahre hinaus – so habe man das schliesslich auch im Mittelalter gehandhabt, wo immer mal wieder eine Pest, eine Hungersnot oder ein Krieg dazwischengekommen sei.
Betreten der Baustelle erlaubt
Das Betreten der Baustelle ist auf dem «Campus Galli» explizit erlaubt. Besucher können den Handwerkern über die Schultern schauen, da und dort auch gleich mit anpacken. Mit den 9 Euro Eintritt, die sie bezahlen, soll das Projekt langfristig finanziert werden.
Zu Beginn erhält das Projekt noch Zuschüsse von der EU, vom Bundesland Baden-Württemberg und der Stadt Messkirch. Nach vier Jahren muss die Klosterstadt selbsttragend sein. 100’000 Besucher sind für die schwarze Null nötig. «Das schaffen wir», sagt Geurten.
Optimistisch ist er auch, weil sich immer mehr Freiwillige melden, die ohne Entgelt am Projekt mitarbeiten. Studenten, Büroangestellte, Rechtsanwälte, Hartz-IV-Empfänger, Rentner und Familien packen neben den festangestellten Handwerkern für wenige Tage oder gleich mehrere Monate mit an.
Sie wollen «in eine andere Zeit eintauchen», «etwas beitragen zu einem tollen Projekt» oder ganz einfach «ehrlich arbeiten», will heissen mit Feuer, Äxten, Mühsal und Dreck.