Review zu „Cyberwar – Das Wettrüsten hat längst begonnen“ von Sandro Gaycken (2012) //
Stellen sie sich folgendes Szenario vor: Sie sind in einer nicht allzu fernen Zukunft mit ihrem Auto auf der Autobahn unterwegs. Es herrscht wenig Verkehr, Sicht und Strassenverhältnisse sind gut, sie lehnen sich zurück und überlassen ihrem Autopiloten die Kontrolle über das Fahrzeug. Doch plötzlich heult der Motor auf, das Fahrzeug beschleunigt selbstständig und ihr Anschnallgurt löst sich. Sie versuchen verzweifelt das Auto wieder unter Kontrolle zu bekommen, doch weder Lenkbewegungen noch wilde Tritte auf die Bremse richten etwas aus. Mittlerweile rasen sie mit Tempo 200 über die Strasse und können nur tatenlos zusehen wie der Autopilot noch zusätzliche Energie zum Motor leitet…
Ein ähnliches Beispiel verwendet Sandro Gaycken, der Autor des Buches Cyberwar, um deutlich zu machen welche direkten Auswirkungen böswillige elektronische Manipulationen in Zukunft auf unser Leben haben könnten. Im konkreten Fall wäre das Betriebssystem des Autos durch ein von einem Konkurrenzunternehmen eingeschleustes Schadprogramm fremdgesteuert worden. Durch massenhafte Autounfälle mit mehreren Toten wäre der Aktienkurs des Autobauers gefallen, eine feindliche Übernahme wäre die Folge gewesen. Nach dem Wechsel der Geschäftsleitung wäre wie durch ein Wunder auch das Problem entdeckt worden, und der Konzern hätte bald wieder schwarze Zahlen geschrieben.
Wovon handelt das Buch?
Gaycken verwendet dieses Beispiel um aufzuzeigen, wie in Zukunft, und vielleicht auch schon heutzutage, nicht nur Staaten, sondern auch Konzerne die neuen technischen Möglichkeiten zu ihrem Vorteil nutzen werden. In einer Gesellschaft, in welcher bald nahezu das ganze Leben von Computern abhängig ist, entstehen auch neue Anfälligkeiten. Er beschreibt wie Industrieländer ihre IT-Sicherheit vernachlässigen, während Schwellenländer mit ihren gewaltigen Populationen Armeen von Hackern aufbauen. Die allumspannende Struktur des Netzes sei nicht nur ein Vorteil, sondern sorge auch für zahlreiche Einfallstore, welche schon heute rege genutzt werden. Staaten könnten durch elektronische Feindpropaganda, welche dank Twitter und YouTube in Echtzeit verbreitet würde, destabilisiert werden. Cybermilitärs könnten anschliessend Kraftwerke, Armee und Infrastruktur des entsprechenden Landes lahmlegen und unabhängig vom realen Kräfteverhältnis Forderungen stellen. Reale Attacken könnten durch vorangehende digitale erst ermöglicht werden.
Was sind wichtige Schlagworte?
Spearfishing (Gezieltes Ausspähen einer Einzelperson durch gefälschte E-Mails), Stuxnet (Computerwurm, soll angeblich iranische Atomanlagen sabotiert haben), Cyberwarrior, Krieg im Geheimen, DoS (Häufung von Seitenanfragen mit dem Ziel einer Webseitenüberlastung), Info-Ops (Cyberpropaganda und Unterwanderung der Informationsmedien).
Was ist eine zentrale These des Buches?
Durch die neuen digitalen Möglichkeiten wird es zu einer Kräfteverschiebung in der internationalen Politik kommen. Staaten und Gruppen mit wenig Mitteln, aber viel Know-How werden mehr Macht über mächtigere Länder und Gesellschaften bekommen. Wir werden von alledem wenig mitbekommen. Die kommenden Kriege werden leise sein, und nicht geprägt von Explosionen und direkter Gewalt.
Was stört?
Da viele dieser Operationen im Verborgenen ablaufen, oder noch nicht realisiert wurden, ist Gaycken oftmals auf konstruierte Beispiele angewiesen, um gewisse Gefahren aufzuzeigen. Diese wirken dann stellenweise übertrieben pessimistisch und dystopisch dargestellt.
Warum dieses Buch lesen?
Der Autor hat sich eindeutig gut informiert, wie man an den vielen Gesprächspartnern in der Danksagung sehen kann. Zudem behandelt er ein Thema, über das es vielleicht gerade deshalb so wenig zu lesen gibt, weil es so wichtig ist. Staaten, Unternehmen und Banken haben nämlich kein Interesse daran, dass ersichtlich wird wie verwundbar sie sind, und verschweigen deshalb Cyberangriffe, welche übrigens laut dem Autor schon recht häufig stattfinden. Das Buch leistet hier einen wichtigen Aufklärungsbeitrag.
Lieblingssatz?
„Jeder zukünftige Diktator wird allsehend und allwissend sein.“