Der Streit um den Tempelberg bringt Jerusalem an den Rand einer beispiellosen Gewalteskalation. Nach dem Attentat auf einen jüdischen Nationalisten erschoss die israelische Polizei am Donnerstag einen tatverdächtigen Palästinenser. Dies löste gewaltsame Proteste aus.
In der gesamten Jerusalemer Innenstadt wurden Sicherheitskräfte mobilisiert, um Unruhen zu unterbinden. Dennoch kam es immer wieder zu Zusammenstössen.
Die Demonstranten errichteten Barrikaden aus Müll und zündeten sie an. Im Stadtteil Abu Tor warfen Palästinenser Steine und Feuerwerkskörper auf Polizisten. Diese wiederum setzte Tränengas ein.
Rechtsradikale jüdische Gruppen mobilisierten zu einem Protestmarsch in Richtung Klagemauer, die den Tempelberg westlich abschliesst. Daraufhin wurde das Felsplateau komplett von der Polizei abgeriegelt.
Am Nachmittag belagerten etwa 50 rechtsradikale israelische Aktivisten das Marokkaner-Tor zum Tempelberg. Sie schwenkten israelische Fahnen und skandierten «Befreit den Tempelberg». Vier von ihnen wurden festgenommen, als sie versuchten, über das Tor zu klettern.
Abbas: «Kriegserklärung»
Palästinenserpräsident Mahmud Abbas machte die israelische Regierung für die jüngste Gewalt in Ost-Jerusalem verantwortlich. «Die Fortsetzung dieser Angriffe und der gefährlichen israelischen Eskalation bedeuten eine Kriegserklärung an das palästinensische Volk, an seine heiligen Stätten sowie an die arabische und muslimische Nation», erklärte er.
Bestrebungen ultranationalistischer Juden, am Tempelberg zu beten und Vorbereitungen für den Bau eines neuen jüdischen Tempels hatten in den vergangenen Wochen zu Krawallen geführt.
Die israelische Regierung hat allerdings wiederholt betont, dass eine Statusänderung auf dem Plateau nicht beabsichtigt sei. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte: «Keine Seite sollte das Recht selbst in die Hand nehmen.»
Bei Schusswechsel getötet
Eine Spezialeinheit der Polizei hatte am Donnerstagmorgen im Stadtteil Abu Tor einen Palästinenser erschossen, der an dem Attentat auf den rechten jüdischen Aktivisten Jehuda Glick beteiligt gewesen sein soll. «Als die Polizisten ihn festnehmen wollten, schoss der Verdächtige auf sie und wurde im Gegenfeuer getötet», sagte eine Polizeisprecherin. Die radikale Palästinenserorganisation Islamischer Dschihad teilte mit, der 32-Jährige sei Mitglied ihrer Organisation gewesen.
Glick schwebte weiter in Lebensgefahr. Der religiöse Ultranationalist war am Mittwochabend niedergeschossen worden.
Glick setzt sich für einen freien Zugang der Juden zum Gebet auf dem Gelände der Al-Aksa-Moschee ein, was ihnen bislang nicht erlaubt ist. Das auch Tempelberg genannte Gebiet in der Altstadt von Jerusalem ist Muslimen und Juden heilig.
UNO kritisiert Siedlungspolitik
Die UNO-Menschenrechtskommission kritisierte am Donnerstag in Genf den israelischen Siedlungsbau und die Besatzungspolitik erneut scharf. Die Zwangsräumung und der Abriss palästinensischer Häuser im besetzten Westjordanland und im arabischen Ost-Jerusalem verstiessen gegen das Völkerrecht. Diese Praktiken müssten sofort beendet werden, hiess es in einem Bericht zur Lage der Menschenrechte.
Zuletzt hatte die Menschenrechtskommission Israel vor vier Jahren überprüft. Seitdem habe sich die Zahl jüdischer Siedlungen in Palästinensergebieten verdoppelt, stellte der zuständige Berichterstatter Cornelis Flinterman fest.
Schweden anerkennt Palästina
Schweden beschloss am Donnerstag formell die Anerkennung Palästinas als eigenständigen Staat. Diese war vor drei Wochen angekündigt worden. Schweden ist das erste westliche EU-Land, das diesen Entscheid getroffen hat.
Die Anerkennung sei ein «wichtiger Schritt», der die Rechte der Palästinenser auf Selbstbestimmung bestätige, hiess es von Aussenministerin Margot Wallström. Abbas begrüsste die Anerkennung als «mutigen und historischen Schritt».