Ralph Stöckli darf zufrieden auf seine ersten Olympischen Spiele als «Chef de Mission» zurückblicken. Der Sieg von Mountainbiker Nino Schurter ist für den St. Galler der «krönende Abschluss».
Mit sieben Medaillen schnitt die Delegation von Swiss Olympic gleich gut ab wie vor acht Jahren in Peking. Dreimal Gold bedeutete diesbezüglich die beste Bilanz seit 20 Jahren und vier Olympiasiegen in Atlanta.
Im Interview mit der Nachrichtenagentur sda erzählt Stöckli von seinen Olympia-Highlights und hob im Bezug auf fehlende Unterstützung durch den Bund den Mahnfinger: «Die Zitrone ist ausgepresst.»
Ralph Stöckli, wann kann ein Schweizer Chef de Mission von erfolgreichen Olympischen Spielen reden?
Ralph Stöckli: Es braucht zwei wichtige Punkte, damit man das sagen kann: 1. wenn es sportlich stimmt. Wir haben uns fünf Medaillen als Ziel gesetzt, diesbezüglich ist grosse Zufriedenheit vorhanden. Und 2. wollen wir alle Athleten und Betreuer gesund zurück in die Schweiz bringen. Diesbezüglich können wir uns noch nicht zurücklehnen.
Wenn man die zwei Wochen Revue passieren lässt, welches waren die Highlights für Sie?
Naheliegend sind natürlich alle Medaillen, die in Erinnerung bleiben werden: Angefangen mit Heidi Diethelm Gerber, die uns zum Glück früh mit der ersten Medaille erlöst hat. Dann Fabian Cancellara, der einen unglaublichen Abschied feiern konnte, die Tennisspielerinnen, die nach dem schwierigen Einstieg mit nur zwei von sechs übrig gebliebenen Spielerinnen einen schönen Erfolg feiern konnten. Oder die Ruderer, die atypisch schweizerisch Gold ansagten und Gold holten. Giulia Steingrubers Medaille, die man in diesem Umfeld als erste Schweizer Turnerin nicht unbedingt erwarten konnte. Und Nicola Spirig, die mit Silber zeigte, dass sie zu den besten Triathletinnen der Welt gehört.
Wie wichtig war es, dass die erste Medaille ziemlich früh geholt wurde? Andere wie Österreich mussten sich bis zum elften Wettkampftag gedulden.
Das hilft sicher. Aber ich bin nicht ganz davon überzeugt, dass dies für die Athleten extrem entscheidend ist. Denn jeder Olympia-Wettkampf hat seine eigene Geschichte. Es ist wichtig für die Delegation, für die Leute im Umfeld. Die erste Sitzung am Morgen ist einfacher, wenn man positiv einsteigen kann, von einer coolen Medaillenfeier am Vorabend erzählen kann. Man hat es in London gesehen, da kamen die Schweizer Medaillen spät, am Ende waren es dann doch noch vier (durch Steve Guerdat, Nicola Spirig, Roger Federer und Nino Schurter).
Im Vorfeld wurde immer wieder gesagt, dass von den Athleten erwartet wird, am Tag X die Bestleistung abzuliefern. Inwiefern ist das gelungen?
Die Hochrechnung haben wir noch nicht gemacht. Das werden wir im Detail mit den Trainern und Teamchefs analysieren. Aber wir haben mehr Medaillen gewonnen als bilanziert. Bezüglich Diplome ist im Vergleich zu London ein ziemlicher Anstieg von 6 auf 18 zu verzeichnen. Das zeigt, dass bei der erweiterten Weltspitze, also bei jenen, denen es noch nicht ganz nach vorne reicht, eine grössere Masse vorhanden ist. Und es zeigt eine gewisse positive Entwicklung auf. Aber wir müssen den Mahnfinger heben: Die Zitrone ist wirklich ausgepresst. Ich möchte betonen, dass es über den Erwartungen liegt, was der Schweizer Sport geleistet hat. Es braucht unglaublich viel Commitment der Athleten und des Umfeldes. Viele haben Aussergewöhnliches geleistet.
Apropos Commitment: In Rio de Janeiro waren die Bundesräte Guy Parmelin und Johann Schneider-Ammann vor Ort, um sich ein Bild zu machen. Gab es von ihrer Seite her irgendwelche Zeichen für den Leistungssport?
Gut, wir konnten nicht erwarten, dass ein Bundesrat, der zu Besuch ist, gleich ein Commitment abgibt. Aber man darf sagen: Wir sind derzeit enttäuscht über das Zeichen des Bundesrates, keine zusätzlichen Gelder in den Leistungssport investieren zu wollen. Wie ich bereits sagte: Die Zitrone ist ausgepresst. Die Kantone haben ein wichtiges Zeichen gesetzt und die Kraft des Sportes erkannt. Man merkt das auch, wie sie mitleben, wenn der Jurassier Steve Guerdat antritt, der die Westschweiz mit der Deutschschweiz verbindet, oder der Kanton Bern mit ‚Fäbu‘ (Cancellara) und der Kanton Uri mit Linda Indergand. Dass dies der Bund nicht sieht, enttäuscht uns.
Swiss Olympic vergleicht sich und steht in ständigem Austausch mit Nationen von vergleichbarer Grösse. Was machen diese Länder anders oder besser?
Wir wissen, dass zum Beispiel in Norwegen viel Power und Geld im System vorhanden ist. Ein starkes Bild – auch wenn die Nationen grösser sind – ergibt sich im olympischen Dorf. Wir wohnen zwischen den Teams Grossbritannien und Kanada. Bei uns hilft der Leistungssportchef von Swiss Cycling beim Pasta kochen, er muss sich mit den Mechanikern absprechen und er steht tags darauf als Streckenposten im Einsatz. Und wenn im Haus daneben der Ernährungsberater mit dem Koch schaut, dass die Pasta al dente ist, kommt mir das Augenwasser. Die spürbar unterschiedlichen Voraussetzungen machen mir etwas Angst für die Zukunft.
Gibt es konkrete Zahlen?
Kanada zum Beispiel hat sein Budget für den Spitzensport vor den Olympischen Spielen verdreifacht, mittlerweile ist es vervierfacht. Selbiges bei den Briten, die hier in Rio de Janeiro mehr Medaillen gewonnen haben als vor vier Jahren in London. Diese Nationen nahmen den Schub Olympischer Spiele im eigenen Land voll mit.
Was wird von den Spielen in Rio de Janeiro in Erinnerung bleiben?
Es waren ‚andere‘ Spiele. Wir sind sehr herzlich empfangen worden. Rio und Brasilien haben den Rest der Welt auf eine sympathische Weise eingeladen. Das meistgebrauchte Wort war Flexibilität, das brauchte es auf beiden Seiten. Die Brasilianer haben das auf eine freundliche Art gemacht, man konnte ihnen nicht böse sein. (lacht)