Tadschikistan: Tote Schafe und Kamele im Schnee

Der TagesWoche-Verlagsmitarbeiter Tobias Gees unternahm eine Reise nach Zentralasien. In Tadschikistan löst der Einfluss Chinas die postsowjetische Ära langsam ab.

(Bild: Tobias Gees)

Tadschikistan ist als Reiseland eine Herausforderung. Die Strassen bestehen aus Schlaglöchern, die Fahrer sehen schlecht, dafür erlebt man Spiele mit toten Schafen, Todestunnel und Kamele im Schnee.

In einer flachen Senke zwischen zwei Hügeln steht das Spielfeld des Buzkashi. Die Hänge des Hügels dienen den zahlreichen Zuschauern als natürliche Tribüne und sind rege bevölkert. In der Senke haben sich rund 100 Reiter versammelt. Wie aus dem Nichts liegt plötzlich der Spielball, das tote Schaf, auf dem Feld. Jeder Reiter will sich den Kadaver als erster krallen, Sieger kann es aber nur einen geben. Der Gewinner will sich aus dem Rudel lösen, ist aber sofort von rund 20 Reitern umringt, die ihm das tote Schaf prügelnd abnehmen wollen. Von Zeit zu Zeit gelingt es einem Reiter aus dem Knäuel zu entwischen und das Schaf fast unbehelligt zwischen zwei Erdhügeln, einer Art Goal, durchzutragen. Sobald der «Torschütze» das Schaf hinter dem Tor fallen lässt, bildet sich wiederum ein Knäuel aus Pferden und Reitern, die auseinander einschlagen, bis es zu rauchen beginnt (Bild). Für uns bleiben die Regeln des Buzkashi auch nach mehreren Runden des martialischen Treibens völlig unverständlich.




(Bild: Tobias Gees)

Es ist Anfang Februar 2014 und wir befinden uns rund 20 Kilometer ausserhalb der eingeschneiten tadschikischen Hauptstadt Duschanbe in einer ländlichen Gegend und besuchen ein traditionelles Buzkashi, was eine Art tadschikisches Polo-Spiel ist. Bloss, dass eben ein totes Schaf als Spielgerät dient.

Wir haben das Glück in der kältesten Woche des Jahres, bei Minus 14 Grad, das Land bereisen zu dürfen. So ist alles, was ansonsten in Tadschikistan schon kompliziert ist, noch ein bisschen schwieriger. So zum Beispiel zum Buzkashi zu gelangen. Unser Taxifahrer bleibt bereits nach wenigen Kurven auf der eisigen Bergstrecke stecken. Wir beschliessen, unseren Weg zu Fuss fortzusetzen und werden nach 20 Minuten Marsch von zwei jungen Tadschiken in ihrem Opel-Jeep mitgenommen. Danach geht es zu Fuss die letzten Kilometer über verschneite Hügel zur Spielstätte. Alle paar hundert Meter steht ein schwarzgekleideter Sicherheitsbeauftragter mit Walkie-Talkie am Wegrand und mustert uns misstrauisch.

Der Ausländer als bunter Hund

Solche Sicherheitsmassnahmen sind eigentlich völlig untypisch für ein Buzkashi. Wir haben das Glück oder eben das Pech, dass sich ein Sohn von Staatspräsident Rahmon als Gast angekündigt hat, was der ansonsten lockere Stimmung etwas Spannung verleiht. Da wir weit und breit die einzigen Ausländer sind, fallen wir auf wie bunte Hunde. Dementsprechend patroullieren die Sicherheitsbeamten des Präsidenten regelmässig in unseren Nähe. Wir verlassen die Veranstaltung vor dem Eintreffen des Präsidentensohns, um nicht wegen irgendwelchen Sicherheitsmassnahmen der Regierung am Buzkashi festgehalten zu werden.

Tadschikistan ist das kleinste zentralasiatische Land und recht bequem in rund acht Stunden von Basel aus erreichbar, ausser man strandet wie wir unfreiwillig in Istanbul und wird wegen dem plötzlichen Wintereinbruch zu einem 17-stündigen Aufenthalt mit Hotelübernachtung gezwungen. Das kontinentale Klima in Tadschikistan führt dazu, dass es im Winter, meist nur kurz, eisig kalt wird und im Sommer dafür brütend heiss mit Temperaturen von 45 Grad im Schatten. In Tadschikistan angekommen wünschen wir uns rasch die Sommerhitze herbei, da es wegen der chinesischen und sowjetischen Bauweise im Gebäudeinnern gleich kalt ist wie draussen (Bild).




(Bild: Tobias Gees)

Bei den arktischen Temperaturen geht es den Tieren im Zoo von Dushanbe nicht viel besser als den Menschen (Bild). Die meisten hausen in kleinen und verwahrlosten Käfigen ohne Rückzugsmöglichkeiten. So verwundert es nicht, dass 2012 ein Nilpferd-Bulle aus einem Kasachischen Zoo kurze Zeit nach dem Umzug nach Dushanbe verendete. Der Zoodirektor liess in einem Statement verlauten, das Tier sei an Heimweh nach seiner Nilpferd-Dame in Kasachstan gestorben.




(Bild: Tobias Gees)

Duschanbe ist mit seinen über 700’000 Einwohnern die reinste Baustelle (Bild). Tadschikische Arbeiter sucht man aber vergebens, da diese sich auf russischen Baustellen (unter anderem in Sotchi) als Saisoniers verdingen. In Tadschikistan ist die Bauwirtschaft fest in chinesischer Hand mit eigener importierter Arbeiterschaft. Überhaupt scheint das Land fest in chinesischer Hand. Praktisch alles stammt aus dem kommunistischen Reich weiter im Osten: Blitzanlagen, Ampeln, Lüftungen, Geschirr und eben Gebäude. Diese werden grosszügig hochgezogen und gammeln danach halb leer vor sich hin und passen so ideal ins postsowjetische Strassenbild.




(Bild: Tobias Gees)

Da es in Duschanbe offiziell keinen «öffentlichen Verkehr» gibt, wird der Transport von Privaten organisiert. Sogenannte Marshrutkas fahren verschiedene festgelegte Linien in der Stadt ab. Ein Fahrzeug dieses «öV» erkennt man an einem A4-Blatt Papier mit einer Ziffer, das an der Windschutzscheibe klebt. Neben den Marshrutkas fährt auch eine Heerschar von Taxis durch Duschanbe. Die iranischen Taxis sind unschlagbar günstig und dienen anscheinend nur der Geldwäsche. Bei den einheimischen Taxifahrern ist es ratsam, vor Fahrtantritt einen Fixpreis abzumachen, ansonsten kommt am Ende als Ausländer das böse Erwachen. Unseren traumatischen Taximoment hatten wir allerdings nicht des Geldes wegen, sondern weil sich die Türen unseres Taxis dank der Kälte nicht mehr schliessen liessen und wir sie darum die ganze Fahrt über von Hand zuhalten mussten.

Wer sich in Tadschikistan fortbewegen will, tut gut daran sich einen geübten Fahrer zu suchen. Im Winter, wenn der ohnehin schlechte Strassenzustand durch Eis und Schnee richtig prekär wird, dient der einheimische Fahrer als Lebensversicherung. Wir werden auf unserem kleinen Roadtrip von einem jungen Herrn mit Brille, eine Seltenheit in Tadschikistan, durch das Land kutschiert. Eine Brille trägt nur, wer es wirklich nicht vermeiden kann. Dass unser Fahrer blind wie ein Maulwurf ist, erleben wir später am eigenen Leib. Unser erstes Reiseziel ist die zweitgrösste Stadt Tadschikistans, Khujand, im Norden des Landes. Die Strasse dahin kann getrost als eine der Lebensadern des Landes bezeichnet werden. Glücklicherweise wird die Strasse von einer privaten Firma betreut, die sich ganz im Sinne der autokratischen Herrschaft im Besitz der Präsidententochter befindet. An Maut-Stationen werden Gebühren erhoben (Bild). Zu unserem Erstaunen sind diese Strassen auch im Winter in einem relativ guten Zustand und befahrbar.




(Bild: Tobias Gees)

Erstes Hindernis auf unserem dem Weg in den Norden ist der Anzob Pass und der Tunnel, der hindurch führt. Dieser rund fünf Kilometer lange Bergdurchstich wurde 2006 eröffnet und wird heute im Volksmund «Tunnel of Doom» (Bild) oder «Tunnel of Death» genannt. Nur ein iranisches Ingenieurbüro war verrückt genug einen Tunnel durch das poröse und mit Wasser durchzogene Gestein zu bauen. Alle anderen angefragten Ingenieure lehnten dankend ab. Die Folgen sind seit der Eröffnung unübersehbar: überall läuft Wasser rein, Schlaglöcher mit einer Tiefe von bis zu einem halben Meter, keine wirkliche Beleuchtung und keine Belüftung.




(Bild: Tobias Gees)

Die Fahrt wird denn auch abenteuerlich. Zu plätschender «Liftmusik» fahren wir durch den finsteren, staubigen Tunnel. Unser Fahrer glaubt wahrscheinlich, die Europäer mit der «Westmusik» beruhigen und von seiner doch massiven Sehschwäche und seiner Nachtblindheit ablenken zu können. Denn immer wieder beugt sich unser Fahrer in voller Fahrt mit dem Gesicht bis zum Lenkrad hinunter, um zu sehen wie der aktuelle Tankstand ist. Plötzlich taucht aus dem Nichts eine unbeleuchtete Baustelle inklusive Bautrupp ohne Atemschutzmasken auf.

Die halbe Fahrbahn ist unpassierbar und das bei Gegenverkehr in Form von Lastwagen. Ein Stückchen weiter taucht ebenso plötzlich ein riesiges Ventilatorenwrack aus der Dunkelheit vor unserer Kühlerhaube auf. Unserem Fahrer gelingt es in letzter Sekunde das Hindernis ohne Kollision zu passieren. Als wir das Ende des Tunnels sehen, ist eine gewisse Erleichterung im Wagen spürbar.




(Bild: Tobias Gees)

Als wir die Berge mit Gipfeln von bis zu 7500 Metern Höhe hinter uns gelassen haben, treffen wir nach ermüdender Fahrt auf eisiger Strasse (Bild) und einigen Schmiergeld-Polizeikontrollen endlich in Khujand ein. Die Stadt ist bekannt für den grossen Bazar mit einer grossen Auswahl an traditionellen Stoffen (Bild) sowie für die grösste Leninstatue Zentralasiens. Nach einem eisigen Nachtessen im Restaurant neben einem Heizstrahler und einer nicht minder kalten Nacht im Hotel freuen wir uns wieder auf unsere geheizte Bleibe in Duschanbe. Doch die müssen wir uns zuerst verdienen – mit der zweiten Durchfahrt des Tunnel of Dooms.




(Bild: Tobias Gees)

 

Ein schwieriges Reiseland

Tadschikistan ist eines der letzten Länder, das touristisch noch ziemlich unerschlossen ist und in die Kategorie «schwieriges Reiseland» gehört. Von Basel ist das Land mit Turkish Airlines via Istanbul erreichbar.

Das kleinste der zentralasiatischen Länder ist ein hartes Pflaster. Während es im Winter bis Minus 20 Grad kalt wird steigt im Sommer das Thermometer auf satte 45 Grad. 93 Prozent der Landes sind gebirgig und meist unwegsam. Nur gerade 6,5 Prozent der Gesamtfläche lassen sich landwirtschaftlich nutzen.

Nachdem der damalige Präsident Rahmon Nabijew 1991 die Unabhängigkeit der Tadschikischen Sozialistischen Sowjetrepublik ausrief, fiel das Land in einen Bürgerkrieg. 1997 gelingt es dem bis heute regierenenden Autokraten Emomalii Rahmon die Macht zu ergreifen und das moderat muslimisch geprägte Land mit harter Hand zur Ruhe zu bringen.

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