Nach den gewalttätigen Ausschreitungen des 7. Februar begannen die Menschen in Bosnien-Herzegowina Bürgerforen zu organisieren. Inzwischen kommen immer weniger, obwohl erste Erfolge erzielt wurden. Derweil wird täglich vor dem Präsidium in Sarajevo demonstriert.
150 Menschen im Alter zwischen 5 und 85 Jahren strecken ihre Mittelfinger in Richtung des Dom Mladih, des «Hauses der Jugend», und skandieren lautstark: «Die Politik ist eine Hure.» Die Geste richtet sich gegen den Kanton Sarajevo, der nicht mehr bereit ist, den Demonstranten das Gebäude für ihre Bürgerforen zur Verfügung zu stellen. Die finden nun vor der Halle statt.
Auf dem 12. Bürgerplenum Sarajevos steht eigentlich das Gesundheitssystem auf dem Programm, aber viele Teilnehmer nutzen die Gelegenheit, um ihrem Ärger Luft zu machen. Ein junger Mann steigt auf die Bühne, hält in seiner erhobenen Hand einen Bussgeldbescheid und erklärt: «Dieses Stück Papier werde ich meinem Sohn geben. Er lernt gerade zu malen und kann damit viel mehr anfangen als ich.» Er bekam ein Bussgeld in Höhe von 360 Euro, weil er auf einer Wahlkampfveranstaltung geschrien hatte: «Diebe, gebt uns unser Geld wieder!»
In anderen Kantonen konnten sich die Demonstranten nicht durchsetzen. Auch stösst die Forderung nach einer Senkung von Beamtengehältern nicht bei allen auf Gegenliebe. Aufgrund des mangelnden Sozialsystems sind viele Menschen auf die Unterstützung von Freunden und Verwandten angewiesen, die beim Staat angestellt sind. Die Gehälter von Beamten sind in Bosnien-Herzegowina weit höher als die der meisten Angestellten und Arbeiter.
Zu Beginn kamen noch bis zu 1’000 Menschen zu den Bürgerforen, doch ihre Zahl hat stark abgenommen. Dass in Sarajevo am vergangenen Donnerstag überhaupt 150 Personen kamen, ist nicht zuletzt der Popularität der Band «Dubioza Kolektiv» zu verdanken, die die Demonstranten akustisch unterstützte.
Dubioza Kolektiv vor ihrem Auftritt beim 12. Bürgerforum in Sarajevo. (Bild: Krsto Lazarevic, n-ost)
Vor dem Staatspräsidium Bosnien-Herzegowinas in Sarajevo protestieren derweil täglich Menschen. Vedran Svrdlin, 31, ist einer von ihnen: «Über vier Jahre lang war ich bei einer Bank angestellt, davon habe ich nur drei Monate lang mein reguläres Gehalt bekommen. Ich demonstriere seit dem 7. Februar jeden Tag vor dem Präsidium, wir werden aber immer weniger.» Je nach Wochentag protestieren zwischen 20 und 50 Menschen vor dem Gebäude, das vor zwei Monaten in Brand gesteckt wurde. Sie kommen um 12 Uhr und gehen um 17 Uhr.
«Über vier Jahre lang war ich bei einer Bank angestellt, davon habe ich nur drei Monate lang mein reguläres Gehalt bekommen.»
Bei einem der letzten Redebeiträge auf dem 12. Bürgerplenum Sarajevos stellt sich ein älterer Herr auf die Bühne und schreit: «Warum beteiligen sich eigentlich so wenige junge Menschen an unserem Protest? Was bringen euch eure vielen Diplome, wenn ihr nicht auf der Seite der Wahrheit kämpft? Was bringen euch eure Diplome, wenn ihr keine Arbeit bekommt, von der ihr leben könnt?»
Svrdlin Vedran demonstriert seit dem 7. Februar 2014 täglich vor dem Präsidium Bosnien-Herzegowinas.i (Bild: Krsto Lazarevic, n-ost)
Das Durchschnittsalter im Bürgerforum und unter den Demonstranten vor dem Präsidium ist relativ hoch. Es ist kein Protest von jungen Akademikern, die sich um ihre Zukunft betrogen fühlen, sondern ein Protest von Bürgerinnen und Bürgern, die sich um ihr Leben betrogen fühlen.