Das „Artist“-Team hat einfach alle Zutaten richtig erkannt, die es braucht, um die Mitglieder der Akademie, lauter ehemalige Gewinner, zu gewinnen. Vor allem aber ist eines gelungen: Kino. Jene Kunstform, die in grosse Sääle gehört und etwas vom Glamour und etwas vom Pathos lebt, der in kleinen Räumen nichts zu suchen hat. Schon gar nicht auf einem Sofa.
Das „Artist“-Team hat einfach alle Zutaten richtig erkannt, die es braucht, um die Mitglieder der Akademie, lauter ehemalige Gewinner, zu gewinnen. Vor allem aber ist eines gelungen: Kino. Jene Kunstform, die in grosse Sääle gehört und etwas vom Glamour und etwas vom Pathos lebt, der in kleinen Räumen nichts zu suchen hat. Schon gar nicht auf einem Sofa.
Die Story: Die Liebe zwischen der aufsteigenden Frau und dem absteigenden Mann.
Das Thema: Filmemachen im Umbruch.
Die Form: Grandios fotografiertes Schwarz-Weiss-Kino.
Die Musik: Loudovic Bource, der nicht bloss einen Mix von Max Steiner bis Cole Porter aufwärmt, sondern zu deren Vorbildern zurückgeht: Debussy, Stravinskij, Ravel.
Der historische Hintergrund: Mitten im Zusammenbruch der Weltwirtschaft erobert die Traumfabrik neue Traumwelten.
Die Dramaturgie: Bis auf den letzten Punkt spielt die Stummfilm-Form genial mit dem Inhalt. Erst ist der Ton nur der Albtraum des Stummfilmstars George Valentin, dann sein realer Untergang. Er muss in seiner stummen Welt weiterleben.
Die Gesichter: Ein grandioses Hauptdarstellerpaar: er, das richtige Männergesicht, etwas zu glatt, etwas zu eitel, und doch äusserst gewinnend, sie, das richtige Frauengesicht: spritzig, frech geistreich, passend zum diskreten, an Grösse die beiden überragenden Chauffeur.
Das Spiel: Ein hervorragend stilsicheres Ensemble, dass nie Sprache vermissen lässt und selbst in den „Dialog“-Szenen immer plastisch bleibt. Allen voran Jean Dujardin und Berenice Bejo. Dass die beiden vor der Kamera teilweise ohne gelernten Dialog arbeiteten, macht sie um so stilsicherer.
Die Selbstreferenz: Der Film ist nicht nur grandios komponiertes Schwarzweiss-Kino, er lässt den Film im Film das Todesurteil fällen, und zeigt die Herstellung des Films als Brennpunkt der Gnadenlosigkeit der Produktivkräfte. Weg mit dem Alten, wenn sich das Junge besser verkauft. Der Zeit voraus, den Zeiten hinterher.
Das macht „The Artist“ zu weit mehr als einem prächtigen Stummfilm. Weil er Herstellung von Film, Herstellung von Mythos um den Film so plakativ knapp zusammenfassen kann, wie Stummfilme das konnten, kann er es auch so pathetisch auf den Punkt bringen: Da ist kein Augenblick von Ironie im Hauptfilm. Wenn, höchstens im Film im Film. Neben der Selbstreferenz verbeugt sich der Regisseur Michel Hazanavicius auch vor einer Reihe von Vorbildern, indem er sie zitiert. Murnau (dessen Faust zu den Meilensteinen der Filmgeschichte gehört, weil er mit allem was damals neu war, experimentiert hat, Jahre bevor andere nachvollzogen, was der geflohene Deutsche da ankarrte: z.B. in CITY GIRL ). Frank Borzage (Von dem sich sogar Picasso („Farewell to Arms“) befruchten liess – zu „Guernica“), King Vidor (The Big Parade) und Strohheim (der den Abgesang auf den Stummfilmregisseur später in „Sunset Boulevard“ selber spielte ).
„The Artist“ bejammert nicht das Ende des 2D-Films, er bejubelt im Rückblick auf den 1D-Film das Kino, und stellt damit alle 2-3D-Filme dieser Saison in den Schatten. Kino haben wir lange nicht mehr gesehen: Jene Mischung aus Pathos und Glamour und Traum eben, die Kino ausmacht. Klar, dass da die Oscars folgen werden. Fragt sich nur wie viele: Kamera, Ausstattung, Musik, Maske, Regie, Bester Film. Das macht schon 5. DiCaprio wird sich strecken müssen.
Der Film ist nicht aus all den vorgenannten Gründen ein Highlight, er besteht aus lauter Highlights: Gleich zu Beginn sind wir Zeuge einer Stummfilm-Première. Während das Publikum sich unter pathetischer des Grossen Live-Orchesters hinreissen lässt (Bis zu 3500 Menschen fassten die grossen Lichtspielhäuser jener Tage) fiebert der Star, fast einsam, hinter der Leinwand. Ein kleiner Mann im Riesenbilderbad. Alles läuft auf das musikalische Finale zu – bis der tosende Applaus losbricht: 3500 Begeisterte stehen, klatschen, jubeln, rufen – lautlos! Klar! Wir sind im Stummfilm. Da klatscht uns die Regie zum ersten Mal den vollen Ernst ihrer Absicht um die Ohren: Es soll als den ganzen Abend beim Stummfilm bleiben.
George Valentin ist der Star, der Stummfilmkönig, auf dem Höhepunkt. Er ist der Mann, der eine grosse Zukunft hinter sich hat. Im Blitzlichtgewitter bringt der Zufall ihn mit seiner Gegenspielerin zusammen: Die junge Peppy MiIler bückt sich nach ihrer Tasche, und, als sie sich wieder aufrichtet, ist sie bereits in den Armen des „Artist“.
Was danach kommt kann man in einem Satz zusammenfassen: Sei auf dem Weg nach oben vorsichtig, wie du mit Menschen umgehst – du wirst ihnen auf dem Weg nach unten wieder begegnen. Das macht den Film zu einem grossen Film: Dass er weit über seinen eigenen Inhalt hinaus grosse Themen packt.
Der Film fasst es in einer der zentralen Szenen im Produktionsgebäude der Cinematogtaph-Studios zusammen. Ein Wirrwarr von Treppen führen nach oben und – unten. Während Peppy im Leichtsinn nach oben tänzelt, folgt George der Schwerkraft nach unten. Ebenso souverän wie die Stummfilm-Ikonografie nutzt der Film die Sprachlosigkeit seiner Figuren: Was sagt die Frau von George, am Tiefpunkt seiner Karriere? Als er sich weigert in Tonfilmen mitzuspielen? Als seine Ehe am Ende ist? „Why do yo refuse to talk?”
Es ist nur einer der wunderbaren Filmzitate, die den “Artist“ zu einem Leckerbissen machen. Auch die zweite Einführung der weiblichen Hauptfigur und Vorwegnahme des Schlusses ist so eine bildliche Sinnstiftung: Für George sind unter einem Kulissenhimmel erst nur Frauenschuhe sichtbar, die gebunden werden, an Frauenfüsse, die verlocken, dann fangen die dazugehörigen Beine an zu tanzen, und ehe seine Blicke sich in den Augen der Tänzerin verlieren, haben die beiden schon ein Step-Duett getanzt.
Wie nebenbei werden in die Geschichte immer wieder kleine theatrale Leckerbissen eingeführt, wie z. B. Peppys Liebeszene mit Georges Frack. Wer denkt, dass all dies nur eine reine Selbstreferenz auf den Film und das Business sei, darf sich auf weit mehr gefasst machen: „The Artist“ fängt nicht nur grandios eine Epoche der kommerziellen Kunst ein, sondern auch einen Hintergrund: die Weltwirtschaft erlebt eben ihre grösste Kreise.
Ehe der Film seinen Lobgesang auf den amerikanischen Mythos „Gefallene kriegen ihre zweite Chance“ singt, buchstabiert er erst einmal das ganze Alphabet des sozialen Abstiegs: Erst muss George den letzten Diener entlassen, dann wird sein Hausrat versteigert, dann kriegt er selbst im Pfandhaus nichts mehr für seinen Namen, zum Schluss spricht man George nur noch an, weil man sich nach der Rasse seines Hundes (oscarreif) erkundigen will. George selber kennt man gar nicht mehr.
Denkt man erst, der Titel sei zu sehr kommerziell beschränkt auf Selbstbespiegelung, wir man eines besseren belehrt: Gerade im Artistenschicksal macht sich das Auf und Ab er Erneuerung lebensfroh sichtbar. Wenn George Valentin zum Schluss die Dreharbeiten zu einem Tonfilm beginnen darf (bezeichnenderweise einer der Revuen um Astaire/Rogers zitiert wird) reisst es uns alle aus dem Traum in den nächsten. Wir hatten schon längst vergessen, dass noch kein Wort gefallen ist, als es fällt: Mit der ersten Klappe zum Tonfilm. So bedeutet das Ende des Films: alles auf Anfang:
„Action“!