«The Jersey Boys»

Schnulzen entwickeln ihren Charme meist langsam. Sie weichen im Refrain gerne auf Allgemeinplätze aus. Dennoch neigen wir, wenn wir uns wohlfühlen, zum mitsingen. «The Jersey Boys» ist so eine Ganoven-Schnulze. Normalerweise müssen Ganoven, die singen, mit einem blauen Auge rechnen.  Doch bei Frankie Valli ist das anders: Mit seinem Singen verrät er niemanden, auch nicht […]

Die Jersey Boys im Erfolgstaumel

Schnulzen entwickeln ihren Charme meist langsam. Sie weichen im Refrain gerne auf Allgemeinplätze aus. Dennoch neigen wir, wenn wir uns wohlfühlen, zum mitsingen. «The Jersey Boys» ist so eine Ganoven-Schnulze.

Normalerweise müssen Ganoven, die singen, mit einem blauen Auge rechnen.  Doch bei Frankie Valli ist das anders: Mit seinem Singen verrät er niemanden, auch nicht die Schurkereien seiner Kumpel. Sein Gesang verrät hingegen Talent zum Blauäugigen: Ein Glück, dass ausgerechnet ein Mafia-Boss dieses Talent zur Schnulze erkennt und es fördert.

Der Sänger hat aber nicht nur eine Stimme. Er hat auch einen Freund mit Mumm zum Kriminellen. Und einen  zweiten Freund, der das Zeug hat, die beiden am Rande der Illegalität zu begleiten. Fehlt nur noch der Komponist: Fertig ist das Schnulzenquartett aus der Ganovenbranche.

Ihre Schnulzen entwickeln ihren Charme zwar nur langsam, und oft auch hinter Gittern. Da sie aber im Refrain gerne auf Allgemeinplätzen ausweichen, singen bald viele bei den Ganoven-Schnulzen der «Jersey Boys» mit.

Der Musiker Clint Eastwood

Clint Eastwood kennt man als Schauspieler. Als Regisseur hat er schon mehrere Meisterwerke abgeliefert. Auch als Musiker ist er erstaunlich vielseitig: Nicht nur war immer wieder in Duetten unterwegs, mit Ray Charles oder zusammen mit Merle Haggard. Mit «Billy Bronco» spielte er in den Achtziger-Jahren auch selber einen Musiker.

Mit «Bird» setzte er als Regisseur Charlie Parker ein Denkmal. Dann komponierte er für einige Filme seine eigenen Songs (in «Unforgiven» und in «The Bridges of Madison County»). In «Million Dollar Baby» und «Mystic River» lieferte er gar den ganzen Soundtrack. Auch als  Regisseur beweist er immer wider eine erstaunliche Musikalität. Jetzt kehrt er – mit vierundachtzig – zur Musik zurück.

Sparsame Kost

Eastwood spielte als Schauspieler meist eher sparsam. Als Regisseur drängt er sich nie in den Vordergrund. Kein Wunder, dass er jetzt bei einer sehr sparsamen Musik gelandet ist: Dem «Doo Woop» des Frankie Vialli.

Die originalen «Four Seasons»: «Walk like a Man»

Mit der ihm eigenen Gelassenheit erzählt Eastwood die Unterschicht-Ballade an den Rändern des konservativen Amerika. Er konzentriert sich auf die Blütezeit des Vokalgesangs: des – ursprünglich schwarzen – «Doo Wop». Dabei siedelt er die Geschichte mit weissen Musikern am Rande des Mafia-Milieus an.

Wer aber jetzt erwartet, einen erhellenden Einblick in die schwarz-weisse Musikgeschichte zu erhalten, zu Zeiten, als die Rassentrennung in den meisten Staaten noch gesetzlich vorgeschrieben war, der täuscht sich. Auch, wer über die mafiösen Strukturen der Unterhaltungs-Unterwelt etwas wissen will, wird mit Oberfläche verführt:

Eastwood hat sich für ein  Musical entschieden, das fast alles weglässt, was sich über eine ursprünglich schwarz geprägte Musikszene sagen liesse. Es lässt auch weg, was die Gesellschaft dieser Tage für schwarze Musik übrig hatte, wenn sie nicht von weissen gespielt wurde. Auftrittsverbote. Hintereingänge. Und immer wieder einmal: Handfeste Prügel. Stattdessen ist der Film fast so zuckersüss wie der originale Frankie Valli: «Big Girls Don’t Cry»:

Ein aufgehübschtes Fotobuch 

Eastwood erzählt die etwas flügellahme Geschichte von Frankie Valli unspektakulär, stilsicher, werkgetreu und – bleich geschminkt. Wer in dieser Doo-Woop-Musikgeschichte auf einen schwarzen Musiker wartet, tut das vergeblich, obwohl sie ursprünglich  stark von Schwarzen geprägt war: Nur einmal erlaubt der Film sich einen leisen, schwarzen Humor: Da kriegen die bleichgesichtigen Jungs von Valli, die die schwarze Musik weiss perfektionieren, die Türe vor die Nase geknallt, mit dem Verweis, sie sollen doch draussen warten, bis «sie schwarz werden». 

Die Ink Spots mussten nicht warten: «If I Didn’t Care»:

Eastwood erzählt seine Bubble-Gum-Geschichte brav. Jene Jahre, in denen der Jazz seine wilden Experimente feierte, in denen der Rock’n’Roll die Extasen der späteren Pop-Kultur begründete, scheinen wie reingewaschen. Eastwood  mag wohl auch geahnt haben, dass bei soviel Bravheit auch ein wenig kriminelle Energie in das Storyboard gehört, das immerhin die Ballade eines kolossalen Scheiterns sein könnte. Aber das reicht nicht aus, den Geniestreich von «Bird» zu wiederholen: Sein Film kann, was Film schon in den Fünfzigern konnte. Solide Geschichten erzählen,  Groschenromanleserinnen nicht überfordern und – niemandem wehtun.

Der Altmeister altbacken   

Eastwood schielt dabei nicht einmal auf die Cashox. Er hat auch keinen Grund: Das Musical war bereits auf der Bühne ein grosser Erfolg. Eastwoods Film ist denn auch solide Kost -etwa so solide wie Eastwoods Musik. Der Altmeister der Narration lässt sich gelassen an den Ufern des Mainstream nieder. Was er in «Jersey Boys» erzählt, ist für einen lauen Sommerabend gerade die eingängige Mischung: leicht verständlich, leicht erzählt und leicht veraltet.

 

Der Film läuft zur Zeit in den Pathé-Kinos

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