Der radikale Tierschützer Erwin Kessler hat den Pharmakonzern Novartis und dessen früheren Chef Daniel Vasella durch einen Text mit Nazi-Bezug nicht verleumdet. Das Bundesgericht hat die Verurteilung des Präsidenten vom Verein gegen Tierfabriken (VgT) aufgehoben.
Kessler hatte im August 2009 auf der Homepage des VgT zwei Artikel im Zusammenhang mit Anschlägen von radikalen Tierschützern gegen Novartis und deren damaligen Präsidenten Daniel Vasella veröffentlicht. Im ersten Text sprach er von «Massenverbrechen von Vasella und Konsorten an Milliarden wehrlosen Versuchstieren».
Im zweiten Artikel thematisierte er das Buch eines Professors zum Thema Tierversuche. Kessler äusserte sich dabei zur Frage des Rechts auf gewalttätigen Widerstand. Der Buchautor hatte diesbezüglich die Ansicht vertreten, dass niemand das Recht habe, gegen Gesetze zu verstossen, um seine Ideologie zu verwirklichen.
Kessler stellte in diesem Zusammenhang die Frage, ob der Professor damit nicht zutiefst die Hitler-Attentäter beleidige, welche als Helden klar gegen das damals geltende Recht verstossen hätten. Gewaltfreier Widerstand sei im Nazi-Regime ebenso wirkungslos geblieben wie heute gewaltfreie Opposition gegen Tierversuche.
Absurd, aber zulässig
Für die Äusserungen im zweiten Artikel sprach das Zürcher Obergericht Kessler der Verleumdung schuldig und verurteilte ihn zu einer unbedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 130 Franken. Nach Ansicht des Obergerichts hatte Kessler Novartis und Vasella mit seinem Vergleich in die Nähe der Nazis und von Hitler gerückt.
Das Bundesgericht hat die Beschwerde von Kessler nun gutgeheissen. Laut den Richtern in Lausanne lassen sich aus dem fraglichen Text keine ehrenrührigen Tatsachen herauslesen. Kesslers Argumentation sei zwar absurd. Weder Novartis noch Vasella würden aber mit Hitler oder dem NS-Regime verglichen.
Novartis und Vasella abgeblitzt
Die Äusserungen Kesslers würden sich vielmehr gegen den Buchautor richten. Zudem könnten die vom VgT-Präsident aufgeworfenen Fragen nur im rhetorischen Sinn verstanden werden. Ob Kessler dem Professor selber Sympathie für das NS-Regime anlaste, sei zwar nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen, könne aber offen bleiben.
Im Gegensatz zu Kessler sind Novartis und Vasella mit ihrer eigenen Beschwerde vor Bundesgericht abgeblitzt. Sie hatten beanstandet, dass Kessler für die Verwendung des Ausdrucks «Massenverbrechen» vom Obergericht freigesprochen worden war, nachdem ihn die erste Instanz deswegen ebenfalls noch wegen Verleumdung verurteilt hatte.
Publikum rechnet mit Übertreibungen
Laut Bundesgericht ist das Obergericht jedoch zu Recht davon ausgegangen, dass Kessler den Begriff «Massenverbrechen» nicht im juristischen, sondern im ethisch-moralischen Sinne gemeint hat. Die Notwendigkeit von Tierexperimenten sowie die Anforderungen an ihre Zulässigkeit würden kontrovers diskutiert.
Kritik müsse dabei bisweilen auch in überspitzter Form zulässig sein. Die Diskussion um Tierversuche werde oftmals emotional geführt und das Publikum rechne mit Übertreibungen und scharfen Formulierungen. Der Ausdruck «Massenverbrechen» sei wohl provokativ und pointiert, in Bezug auf die Thematik aber zu relativieren.
Noch hängig ist vor Bundesgericht eine Beschwerde Kesslers im parallelen zivilrechtlichen Verfahren. Im Rahmen einer Klage Vasellas wegen Persönlichkeitsverletzung hatte das Thurgauer Obergericht die Bezeichnung «Massenverbrechen» als unzulässig erachtet und Kessler dessen weitere Verwendung verboten.