…passiert gar nix. Leser Marcus Tschudin über den alltäglichen Terminwahnsinn.
Da flanier ich kürzlich an einem dieser milden Vorfrühlingstage durch die Altstadt, um den Kopf zu lüften, Eindrücke zu sammeln und mich des Pensioniertendaseins zu erfreuen, als mir ein ehemaliger Arbeitskollege begegnet, der inzwischen ebenfalls in den Ruhestand getreten ist und nun so wie ich die erträgliche Leichtigkeit des postprofessionellen Seins geniessen dürfte. Nehme ich an.
Wir bleiben stehen, begrüssen uns, versichern uns des gegenseitigen Wohlergehens, reden über dies und jenes. Nach drei Minuten merke ich, wie mein Gegenüber plötzlich unruhig wird und auf seine Uhr schielt. Er müsse jetzt leider weiter, entschuldigt er sich, es sei nett gewesen, mich zu treffen, man könne sich ja demnächst mal auf ein Bier in der Kunsthalle oder zu einem Lunch im Löwenzorn treffen und bei dieser Gelegenheit alte Erinnerungen aufleben lassen.
Da ich aus Erfahrung weiss, was aus solch vagen Abmachungen wird, nämlich nichts, versuch ich gleich Nägel mit Köpfen zu machen: Wie wärs denn am nächsten Dienstag?
Mein Gegenüber wird noch unruhiger, zückt seine Agenda, nein, Dienstag sei höchst ungünstig, da habe er vormittags einen Arzttermin und nachmittags sei er beim Aquafitten.
Mittwoch?
Oh je, da sei er gar nicht in Basel, ein alter Schulfreund habe ihn nach Bern eingeladen, um den Bärenpark zu besichtigen.
Donnerstag?
Sorry, er müsse dringend wieder mal zum Coiffeur und anschliessend habe er seiner Frau einen Ausflug nach Mariastein versprochen.
Freitag?
Verflixt und zugenäht, da sei er um zehn Uhr morgens bei seinem Steuerberater angemeldet, und nachher blühten ihm noch zwei Termine, die er unmöglich absagen oder verschieben könne. Jetzt müsse er aber wirklich. Er rufe mich aber in den nächsten Tagen an, ob ich im Telefonbuch sei, super, also bis bald. Und eilenden Schrittes entschwindet der Gestresste.
Ich flaniere weiter, setze mich in ein Strassencafé, schlürfe einen Espresso und konsultiere meinen Taschenkalender. Überhaupt nichts eingetragen. Weder diese Woche noch nächste. Was mach ich falsch?
Zehn Tage später ruft der termingehetzte Unruheständler tatsächlich an. Ob ich am kommenden Montag Zeit hätte für einen Apéro? Das heisst, da falle ihm gerade ein, Dienstag wäre besser, oder nein, noch idealer wäre Donnerstag. Ganz sicher sei die Sache jedoch noch nicht, ob auch Freitag ginge?
Ich schwindle ihm vor, nächste Woche sei unmöglich, ich hätte zurzeit grausam viel um die Ohren und würde mich melden, sobald ich aus dem Gröbsten heraus sei. Ich erschrecke kurz ob dieses scheinheiligen Versprechens, das mir so leicht über die Lippen kommt, obwohl ich es mitnichten zu halten gedenke. Denn das Leben ist kurz.
Zu kurz, um es laufend zu verplanen und dauernd auf morgen zu verschieben.
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