In der Schweiz üben die meisten Frauen typische Frauenberufe aus und die meisten Männer typische Männerberufe. Nur 1 Prozent der Jugendlichen hat einen für das Geschlecht nicht typischen Beruf gewählt. Das sind weniger als im übrigen Europa.
Die wenigen jungen Menschen mit einem geschlechtsuntypischen Beruf – also beispielsweise Automechanikerinnen oder Pflegefachmänner – haben höhere schulische Kompetenzen als ihre Alterskameraden. Das zeigt die Nationalfonds-Studie «Gleichstellung der Geschlechter» (NFP 60).
Für die Untersuchung wurden die Ausbildung und der berufliche Weg von 6000 jungen Erwachsenen zehn Jahre lang mitverfolgt, wie der Schweizerische Nationalfonds (SNF) am Dienstag mitteilte. Als männer- respektive frauentypisch gelten Beschäftigungen mit mindestens 70 Prozent Männern oder Frauen. Die anderen Tätigkeiten gelten als geschlechtsneutral.
Mit 33 der mittlerweile 25-jährigen Befragten führten die Forschenden vom Zentrum Gender Studies und vom Seminar für Soziologie an der Universität Basel vertiefte Interviews.
Problem löst sich nicht von selbst
Von den insgesamt 6000 Befragten wünschten sich gerade 22 Frauen und 20 Männer als 16-Jährige einen geschlechtsuntypischen Beruf und übten zehn Jahr später einen solchen aus. Das waren weniger als 1 Prozent. Einige dieser 42 Personen waren in ihrem Berufsfeld in einer ihrem Geschlecht entsprechenden Nische tätig.
Die Geschlechtertrennung in der Arbeitswelt ist in den Augen der Forschenden kein Generationenproblem, das sich mit der Zeit von alleine lösen wird. Diese Situation sei aus mehreren Gründen problematisch.
Typische Frauenberufe – etwa im Pflegewesen oder in der Kindererziehung – hätten einen geringen gesellschaftlichen Status, böten kaum Aufstiegsschancen und würden vergleichsweise schlecht entlöhnt.
Auch verliere die Wirtschaft Potenzial, wenn junge Menschen geschlechtstypische Berufe wählen und so ihre Fähigkeiten nicht voll entfalteten. Der Mangel an Pflegefachleuten oder Ingenieuren könnte entschärft werden, wenn Jugendliche ihre Berufswahl weniger nach ihrem Geschlecht ausrichten würden.
Frühe Berufswahl
Dass junge Frauen und Männer in der Schweiz öfter als in anderen europäischen Ländern geschlechtertypische Berufswege einschlagen, hat laut der Studie mehrere Gründe. Im Schweizer Bildungssystem müssen sich Jugendliche mit 15 Jahren für einen Beruf entscheiden, früher als in anderen Ländern.
In diesem Alter orientieren sich junge Menschen häufig stark an Geschlechtsstereotypen. Deshalb kommen die meisten gar nicht auf den Gedanken, einen geschlechtsuntypischen Beruf zu ergreifen. Einen einmal eingeschlagen Weg würden die Jugendlichen kaum verlassen, heisst es in der Studie. Denn Wechsel seien schwierig.
Auch Familienpläne wirken sich traditionalisierend aus, wie das Forschungsteam feststellte. Junge Frauen, die Kinder haben wollen, wählen häufig frauentypische Berufe, weil diese ihnen Teilzeitarbeit und Kinderpausen ermöglichen. Männer mit Kinderwunsch dagegen bevorzugen gut bezahlte Berufe mit Karrieremöglichkeiten.
Höhere Kompetenzen
Jugendliche, die für ihr Geschlecht nicht typischen Berufe ergreifen, haben meist höhere Kompetenzen im Lesen und in Mathematik, wie die Forscher herausgefunden haben. Die Eltern dieser jungen Leute hätten zudem oft höhere Bildungsabschlüsse.
Das Forschungsteam hat festgestellt, dass Jugendliche in geschlechtsuntypischen Berufen besondere Ressourcen und viel Selbstbewusstsein benötigen, um die Hindernisse auf ihrem Weg zu bewältigen. Für junge Frauen lohnt sich ein Männerberuf allerdings mehr als für Männer ein Frauenberuf.
Männer in frauentypischen Berufen erreichen wie ihre Kolleginnen nur einen relativ tiefen beruflichen Status. Dagegen erfahren Frauen, die einen Männerberuf ergreifen, häufig einen Statusgewinn.
Abhilfe schaffen
Um diese Geschlechtersegregation zu beheben, sollten Angehörige, Lehrkräfte und Lehrmeister jungen Leuten den Rücken stärken, die einen für ihr Geschlecht nicht typischen Beruf wählen wollen. Schulen und Berufsberatungen sollten geschlechtsuntypische Berufe und andere Familienmodelle als das «Ernährer-Hausfrau-Modell» vermehrt zum Thema machen.
Im Weiteren fordern die Autoren der Studie, dass in frauentypischen Berufen Saläre und Möglichkeiten zur Weiterbildung verbessert werden. In Männerberufen wiederum braucht es flexible Beschäftigungsgrade und Arbeitszeiten.