Ein Istanbuler Gericht hat am Dienstag im Zusammenhang mit dem tödlichen Einsatz gegen die sogenannte Gaza-Flottille den Prozess gegen vier hochrangige israelische Militärkommandanten eröffnet. Die Staatsanwaltschaft fordert lebenslange Haftstrafen.
Angeklagt ist unter anderem der damalige Generalstabschef der israelischen Streitkräfte, Gabi Aschkenazi. Ihm und drei weiteren hochrangigen israelische Militärvertretern wird vorgeworfen, für den Tod von neun Aktivisten auf dem türkischen Gaza-Versorgungsschiff „Mavi Marmara“ im Mai 2010 verantwortlich zu sein.
Vor dem Gerichtsgebäude versammelten sich am Dienstag hunderte Demonstranten, um gegen Israel zu protestieren und ihre Solidarität mit den Palästinensern auszudrücken. Der zunächst auf drei Tage angesetzte Prozess findet in Abwesenheit der Angeklagten statt.
Nach Istanbul gereist seien hingegen mindestens 60 internationale Aktivisten, die vor Gericht aussagen wollten, sagte Izzet Sahin, Sprecher der islamisch-türkischen Hilfsorganisation IHH, die den den Einsatz der Fähre als Teil einer Schiffsflotte organisiert hatte. Die IHH unterhält unter anderem Beziehungen zur radikalislamischen Hamas, die in Gaza regiert, doch weist sie den Islamismus-Vorwurf zurück.
Prozess ist „grosses Puppentheater“
Das israelische Aussenministerium nannte den Prozess ein „grosses Puppentheater“, da keiner der Angeklagten offiziell informiert worden sei. Da die Beschuldigten nicht vor Gericht erscheinen, hat das Verfahren vor allem symbolische Bedeutung.
Sollten die Israelis verurteilt werden, müssten sie bei einer Einreise in die Türkei aber mit der Verhaftung rechnen. Das Urteil könnte zudem die politischen Spannungen zwischen der Türkei und Israel neu anheizen.
Gegenseitige Vorwürfe
Die IHH und andere Gruppen hatten im Mai 2010 eine Flottille mit Hilfsgütern Richtung Gaza-Streifen geschickt, um eine israelische Blockade zu unterlaufen. Israelische Soldaten enterten die „Mavi Marmara“, das Flaggschiff der Flottille, am 31. Mai 2010 von Booten und Helikoptern aus.
Auf Deck kam es zu Zusammenstössen zwischen Soldaten und Aktivisten. Bei dem Einsatz wurden neun pro-palästinensische Aktivisten aus der Türkei getötet; ein zehnter Mann liegt seither im Koma.
Nach der Schiesserei auf der „Mavi Marmara“ verschlechterten sich die ohnehin angespannten türkisch-israelischen Beziehungen noch. Ankara wies den israelischen Botschafter aus, beide Staaten warfen sich gegenseitig aggressives Verhalten vor: Die Türkei sprach von einem illegalen Angriff in internationalen Gewässern, Israel von einer Provokation einer gefährlichen islamistischen Organisation.
In einem im vergangenen Jahr veröffentlichten UNO-Bericht wurde die israelische Seeblockade des Gazastreifens als „rechtmässig und angemessen“ bezeichnet. Der Militäreinsatz gegen die Hilfsflotte wurde aber als „masslos und unangebracht“ eingestuft.