Mehr als fünf Jahre nach Beginn des syrischen Bürgerkrieges haben türkische Truppen – mit syrischen Rebellen – erstmals eine Bodenoffensive im Nachbarland gestartet. Schon am Abend war die IS-Hochburg Dscharablus von der Freien Syrischen Armee (FSA) zurückerobert.
Die Freie Syrische Armee habe die Ortschaft – bisher eine Bastion der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) – eingenommen, sagte Erdogan nach einem Treffen mit US-Vizepräsident Joe Biden am Mittwochabend in Ankara. Die Kämpfer hätten alle wichtigen Stellen eingenommen, sagte Erdogan und deutete an, dass die Stadt vom IS verlassen worden sei.
Der mit Panzern und der Hilfe syrischer Rebellen – laut der staatlichen türkischen Nachrichtenagentur Anadolu 1500 – geführte türkische Angriff auf die Dscharablus hatte unmittelbar vor dem Besuch Bidens in Ankara begonnen
Die US-Streitkräfte unterstützten die Bodenoffensive mit ihrer Luftwaffe und Militärberatern, wie aus US-Regierungskreisen verlautete.
Erdogan erklärte, der Militäreinsatz sei «gegen Bedrohungen gerichtet», die für die Türkei von Terrororganisationen wie dem so genannten Islamischen Staat (IS) oder der syrischen Kurdenmiliz YPG ausgingen. «Hinter diese Angriffe muss jetzt ein Schlusspunkt gesetzt werden», sagte Erdogan in Ankara. «Das müssen wir lösen.» Türkische Artillerie und Kampfflugzeuge hatten Dscharablus am Morgen zunächst aus der Luft bombardiert.
Ankara warnt Kurden
Der türkische Aussenminister Mevlüt Cavusoglu drohte zugleich auch den Kurden im Norden Syriens. Der syrischen Kurdenpartei PYD und ihren Milizen warf er vor, den Kampf gegen den IS nur als Vorwand zu benutzen, um ein eigenes Herrschaftsgebiet in Syrien aufzubauen. «Wir werden diese geheime Agenda durchkreuzen», sagte Cavusoglu.
Bei der Offensive «Schutzschild Euphrat» dürfte es der Türkei neben der Bekämpfung des IS vor allem darum gehen, einen weiteren Vormarsch syrischer Kurden zu verhindern.
Die kurdischen Volksschutzeinheiten YPG – die Kampftruppe der PYD – haben vom IS in Syrien bereits mehrere Gebiete erobert und beherrschen den grössten Teil der rund 900 Kilometer langen Grenze zur Türkei. Unterstützung erhalten sie von Luftangriffen der US-geführten internationalen Koalition.
Die PYD ist eng mit der in der Türkei verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK verbunden. Die Türkei sieht beide Kräfte als Terrororganisationen an. Sie will unter allen Umständen vermeiden, dass an ihrer Südgrenze ein zusammenhängendes Herrschaftsgebiet der Kurden entsteht.
USA demonstrativ Türkei-freundlich
Obwohl die USA die Kurden im Kampf gegen die IS-Terrormiliz unterstützen, machte Biden ihre Hoffnung auf einen eigenen Staat mit seinen Worten faktisch zunichte.
Nach seinem Treffen mit dem türkischen Regierungschef Yildirim hatte Biden deutlich gemacht, dass Washington keinen Kurdenstaat an der türkischen Grenze akzeptieren werde.
«Sie können und werden unter keinen Umständen amerikanische Unterstützung erhalten, wenn sie sich nicht an ihre Verpflichtung halten», sagte Biden mit Blick auf die syrisch-kurdischen YPG-Einheiten.
Dscharablus ist eine der letzten grösseren Bastionen der IS-Terrormiliz direkt an der Grenze zur Türkei. Der Ort liegt rund 35 Kilometer nördlich der Stadt Manbidsch, die erst kürzlich von einem Bündnis unter Führung der YPG zurückerobert worden war. Sollte der IS Dscharablus verlieren, wäre das ein schwerer Rückschlag für die Extremisten, weil über die Stadt wichtige Nachschubwege gesichert werden.
Die türkische Militäroffensive erregte den Zorn syrischer Kurden. «Die Türkei ist im syrischen Sumpf», schrieb der Co-Vorsitzende der Kurdenpartei PYD, Salih Muslim, auf Twitter. «Wird besiegt werden wie Daesh.» Daesh ist die arabische Abkürzung für den IS. In Erwiderung auf Muslim erklärte der türkische Aussenminister Cavusoglu: «Unsere Absicht ist es, den Sumpf trockenzulegen.».
Im vergangenen Jahr hatten türkische Spezialeinheiten, geschützt von Panzern, eine türkische Exklave in Syrien geräumt.
Biden beschwichtigt im Fall Gülen
In den Hintergrund rückte durch die Ereignisse an der türkisch-syrischen Grenze der Streit um die Auslieferung des im US-Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen. Die Türkei macht ihn für den Putschversuch am 15. Juli verantwortlich und hat einen Auslieferungsantrag gestellt.
Yildirim appellierte an die USA, hinsichtlich der Auslieferung des «Terroristenführers» keine Zeit zu verlieren. Biden erklärte dazu: «Wir haben keinerlei Interesse daran, irgendwen zu beschützen, der einem Verbündeten Schaden zugefügt hat, aber wir müssen die üblichen rechtlichen Voraussetzungen einhalten.» Er betonte, dass nur ein Gericht über die Auslieferung Gülens entscheiden könne.