Türken erteilen Erdogans Machtplänen eine Abfuhr

Die islamisch-konservative Regierungspartei AKP hat bei der Parlamentswahl in der Türkei nach Auszählung aller Stimmen die absolute Mehrheit verloren. Die AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan sicherte sich 40,8 Prozent.

Selahattin Demirtas von der pro-kurdischen HDP.

(Bild: sda)

Die islamisch-konservative Regierungspartei AKP hat bei der Parlamentswahl in der Türkei nach Auszählung aller Stimmen die absolute Mehrheit verloren. Die AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan sicherte sich 40,8 Prozent.

Wie türkische Fernsehsender am Sonntagabend berichteten, schaffte die Kurdenpartei HDP den Sprung über die Zehn-Prozent-Hürde und damit den Einzug ins Parlament. Sie wurde mit 12,8 Prozent viertstärkste Kraft. Die säkulare CHP wurde mit 25,2 Prozent zweitstärkste Partei, gefolgt von der rechtsgerichteten MHP, die auf 16,5 Prozent kam.

Die AKP erhält damit 257 Sitze im 550 Sitze zählenden Parlament in Ankara, das sind 19 Mandate weniger, als zur Fortsetzung der Alleinregierung nötig gewesen wären. Bei der Wahl im Jahr 2011 hatte die AKP fast 50 Prozent der Stimmen und 328 Mandate erreicht.

Die CHP hat 131 Sitze und die MHP 82 Sitze. Die HDP stellt künftig 78 Abgeordnete. Die Wahlbeteiligung lag bei 86 Prozent.

AKP auf Koalitionspartner angewiesen

Nach mehr als zwölf Jahren Alleinregierung muss sich die AKP nun einen Koalitionspartner suchen. Der hochrangige AKP-Politiker Burhan Kuzu sprach sich für Neuwahlen aus. Laut der Verfassung kann der Staatspräsident neue Wahlen anordnen, wenn keine Regierung zustande kommt.

Das Ergebnis ist eine Niederlage für Erdogan, der die HDP im Wahlkampf scharf angegriffen hatte, obwohl der Präsident nach der Verfassung zur Neutralität verpflichtet ist. Die HDP war mit dem Ziel in den Wahlkampf gezogen, Erdogans geplantes Präsidialsystem zu verhindern, und hatte vor einer «Diktatur» gewarnt.

Als Ziel hatte die von Erdogan mitgegründete AKP 330 Sitze angegeben. Das ist die erforderliche Mehrheit, um ein Referendum über eine Verfassungsreform zur Einführung eines Präsidialsystems abzuhalten.

Für HDP-Chef Selahattin Demirtas war der Wahlausgang ein persönlicher Triumph. «Wir, als unterdrücktes Volk der Türkei, das Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit will, haben heute einen gewaltigen Sieg erreicht», sagte er am Sonntagabend bei einer Pressekonferenz in Istanbul.

«Nun ist die HDP eine echte türkische Partei», sagte er. «HDP ist die Türkei und die Türkei ist HDP.» Seine Partei werde eine «starke und ehrliche Opposition» sein.

Sprengstoffanschlag

Das Wahlkampfende war von schwerer Gewalt überschattet worden. Bei einem Sprengstoffanschlag auf eine HDP-Veranstaltung in der Kurden-Metropole Diyarbakir wurden am Freitagabend nach Angaben von Polizei und Ärzten mindestens 3 Menschen getötet und 220 verletzt. Ministerpräsident und AKP-Chef Ahmet Davutoglu sagte nach seiner Stimmabgabe laut DHA, ein Verdächtiger sei festgenommen worden. Der Hintergrund der Tat blieb weiter unklar.

Im Wahlkampf war die HDP immer wieder zum Ziel von Anschlägen und Übergriffen geworden. Nach Angaben des Innenministeriums schützten am Sonntag mehr als 400’000 Sicherheitskräfte die Wahl. Zehntausende Wahlbeobachter waren im Einsatz.

56,6 Millionen Türken waren zur Wahl aufgerufen: 53,7 Millionen in der Türkei und 2,9 Millionen im Ausland. Bis Ende Mai konnten Auslandstürken in türkischen Botschaften und Konsulaten wählen. Von den 1,4 Millionen Wahlberechtigten in Deutschland gaben gut 480’000 ihre Stimme in der Bundesrepublik ab.

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